Was wir sind und was wir sein könnten
auch begeistern kann, das entscheidet nicht »die Umwelt«, sondern das entscheidet er oder sie ganz allein.
Das kennen wir alle: Wenn einem etwas wirklich wichtig ist, dann strengt man sich auch an, um es zu erreichen. Dann fokussiert man seine Aufmerksamkeit auf das angestrebte Ziel, dann unterdrückt man alle möglichen anderen Bedürfnisse, dann entwickelt man eine Strategie und macht einen Plan, um das, was einem so wichtig ist, nun auch wirklich umzusetzen. Und wenn das Ganze dann auch tatsächlich klappt, ist man hellauf begeistert. Über sich selbst und über das, was man jetzt tatsächlich erreicht hat, vielleicht auch noch über all die anderen, ohne deren Unterstützung all das gar nicht machbar gewesen wäre. Das sind also eine ganze Menge unterschiedlicher neuronaler Netzwerke, die in diesem Zustand der Begeisterung aktiviert werden. Und immer dann, wenn man sich so richtig für etwas begeistert, wenn es einem unter die Haut geht und man etwas besonders gut hinbekommen hat, wird im Mittelhirn eine Gruppe von Nervenzellen erregt. Die schütten dann an den Enden ihrer langen Fortsätze einen Cocktail neuroplastischer Botenstoffe aus. Zum Leidwesen aller tapferen Pflichterfüller und ordentlichen Funktionierer passiert das nie im Routinebetrieb des Gehirns, wenn man all das abarbeitet, was anliegt, sondern nur in diesem wunderbaren Zustand der Begeisterung.
Die bekanntesten dieser neuroplastischen Botenstoffe heißen Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin, aber auch Peptide wie Endorphine und Enkephaline gehören dazu. Sie alle lösen auf die eine oder andere Weise in nachgeschalteten Nervenzellen eine rezeptorvermittelte Signaltransduktionskaskade aus. Das neurobiologische Signal der Begeisterung wird so bis in die Zellkerne der nachgeschalteten Nervenzellen weitergeleitet. Dort kommt es dann zur verstärkten Abschreibung von bestimmten Genen, und daraufhin beginnen diese Nervenzellen vor allem solche Eiweiße vermehrt herzustellen, die für das Auswachsen neuer Fortsätze und für die Herausbildung neuer Nervenzellkontakte gebraucht werden.
Auf diese Weise werden all jene neuronalen Netzwerke ausgebaut und verstärkt, die im Hirn aktiviert worden waren, um genau das zustande zu bringen, was der betreffenden Person ganz besonders am Herzen lag und worüber sie sich deshalb auch so sehr begeistert hatte.
Genau das ist es, was die Hirnforscher meinen, wenn sie sagen, dass das Gehirn so wird, wie und wofür man es mit Begeisterung benutzt. Und deshalb ist auch das, worauf es ankommt, nicht die Umwelt, sondern die subjektive Bewertung, also das, was das betreffende Kind oder der betreffende Erwachsene in dieser jeweiligen »Umwelt« wichtig findet, wofür er oder sie sich interessiert und begeistert. Wenn wir also wissen wollen, wieso Menschen so werden, wie sie werden, oder wie sie so geworden sind, wie sie sind, müssen wir herausfinden, was ihnen in der Vergangenheit wichtig war, was ihnen jetzt wichtig ist und was ihnen in Zukunft möglicherweise besonders wichtig sein wird. Denn nur für das, was einem Menschen wichtig ist, kann er sich auch begeistern, und nur wenn sich ein Mensch für etwas begeistert, kommt in seinem Gehirn die Gießkanne mit dem Dünger in Gang, werden all jene Netzwerke ausgebaut und verbessert, die der betreffende Mensch in diesem Zustand der Begeisterung nutzt.
Wofür wir uns aus uns selbst heraus begeistern
Wir können froh sein, dass es in unserem Gehirn diesen eingebauten Mechanismus gibt, der dafür sorgt, dass dort oben nicht alles in Form spezifischer Netzwerke gestärkt und gefestigt wird, was tagtäglich auf uns herabrieselt, was uns an grellen Bildern und wichtigtuerischem Geschwätz zugemutet wird und was wir selbst so alles an Belanglosigkeiten von uns geben oder in Routinehandlungen abarbeiten. Wie wunderbar also, wenn im Hirn nur dann etwas passiert, nur dann noch einmal richtig etwas in Bewegung kommt und umgebaut wird, wenn es auch wirklich wichtig ist, und zwar für denjenigen, der mit diesem Gehirn herumläuft, und nicht für irgendjemand anderen oder für irgendetwas in der Welt. Objektiv kann alles Mögliche, also beispielsweise die Beseitigung des Hungers in der Welt, die Überwindung des Analphabetentums oder die Eindämmung der Umweltverschmutzung also durchaus wichtig sein. Trotzdem lässt all das die meisten Menschen ziemlich kalt. Unser Gehirn reagiert eben nicht auf das, was objektiv wichtig oder richtig ist, sondern nur auf das, was uns selbst aufgrund
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