Wasdunkelbleibt
Flutwelle über meine Auffahrt schwappen, »aber …«
Ich trat beiseite und bat ihn mit einer Kopfbewegung ins Haus. »Setz dich!« Ich schaltete den Fernseher aus und wies auf mein Küchensofa. Ich lebe quasi in der Küche: Fernseher, Musikanlage, Sofa, Zeitschriften, Bücher – alles vorhanden.
»Ich wollte Sie fragen – ähm – ob Sie ein Buch für mich schreiben würden.«
Er öffnete seine Fleecejacke und zog einen Stapel Papiere hervor. Handbeschrieben. Wachsam wanderten meine Augenbrauen in die Höhe. Halt, Kea, ermahnte ich mich, er könnte ein guter Kunde sein, selbst wenn er jung ist. Gute Kunden waren solche, die möglichst viel zahlten und äußerst selten anriefen, keine Umarbeitungen einforderten und dankbar ihre fertig geghosteten Texte annahmen.
»Sie kennen mich nicht, oder?«
»Habe ich ein Schlagersternchen vor mir? Ich schaue mir die einschlägigen Sendungen nicht an, sorry.«
Er lachte. So ein breites, freakiges Lachen, das viel tiefer klang als erwartet.
»Mein Name ist Bastian Hut. Ich bin vor 4 Jahren mal kurz in den Schlagzeilen gewesen. Weil ich eine Firma gehackt habe.«
»Das war vor meiner Ohlkirchener Zeit!«
»Ja, kann sein.«
»Welches Unternehmen hast du gehackt?« Ich goss Bastian ein Glas Wasser ein und mir einen Chianti.
»Das spielt ja keine Rolle mehr.« Er zuckte die Achseln. Wie ein Hacker sah er nicht aus. Nicht, wie ich mir einen Hacker vorstellte. Er war zwar schmal, fast zierlich, wirkte aber dennoch sportlich. Kein Typ, der 24 Stunden am Stück vor einem Bildschirm saß und das Internet leersaugte. »Ich bin angeworben worden. Von so einem Typen. Auf einer offenen Plattform im Netz. Wo sich die Geeks rumtreiben und austauschen.«
»Wer hat dich angeworben?«
»Das weiß ich nicht. Er nannte sich nbn6. Da loggt sich keiner mit seinem echten Namen ein!«
»Und dann?«
»Dann habe ich weitere Aufgaben bekommen. Steht alles da drin.« Er schüttelte den Papierpacken. »Musste die Daten eines Fitnessstudios knacken und Infos über die Kunden weitergeben.«
Abgründe!
»Und das hast du gemacht?«
Bastian nickte und sah sich im Zimmer um. Sein Blick blieb an den Haikus hängen, mit denen ich die Wand über dem Sofa tapeziert hatte. Häufig kam eins hinzu. »Dichten Sie selbst?«
»Nein. Die Haikus stammen von berühmten japanischen Poeten.«
»Das mit dem Fitnesscenter war harmlos. Sie haben mich erst später erwischt. Bis zu dem Tag, an dem die Polizei meinen Rechner und meine Sachen aus dem Haus geschleppt hat, habe ich 3000 Euro verdient.«
»Du bist verurteilt worden?«
»Steht alles hier drin. Ich habe meine Erlebnisse aufgeschrieben. Um den Leuten klar zu machen, wie das alles enden kann.«
»Eine Warnung?«
»Das ist so ein Spiel, manchmal. Unter Hackern, meine ich. Du probierst, wie weit du gehen kannst. Du checkst einfach die Grenzen, die dir gesetzt sind, und schiebst sie ein bisschen weiter von dir weg. Und weiter. Und noch weiter. Und dann kannst du nicht mehr aufhören.«
»Sucht?«
»So ähnlich. Aber du handelst dir nichts als Ärger ein.«
Ich streckte die Hand nach seinen Unterlagen aus. Gute 100 Seiten mussten das sein, beschrieben in schnörkeligen Buchstaben.
»Du schreibst mit der Hand?«
Er errötete leicht. »Ich kann so besser nachdenken. Am PC bin ich abgelenkt.«
»Das zu entziffern, wird nicht einfach sein.« Ich hatte keine große Lust auf den Auftrag, aber ich hatte nichts Besseres zu tun. In meinem Arbeitszimmer wartete ein Stapel Korrekturfahnen zu einer anderen Autobiografie. Die konnte ich innerhalb von zwei Tagen abarbeiten. Erst für Ende des Jahres war ich zu einer Frau eingeladen, die auf einer Hallig in der Nordsee lebte und ihr Leben aufgeschrieben haben wollte. Ich freute mich auf die Reise. Bis dahin hatte ich Zeit.
»Geld ist kein Thema«, bemerkte Bastian.
»Bist du Großverdiener?«
Er schüttelte lachend den Kopf. »Mache nächstes Jahr endlich mein Abi.«
»Und dann? IT-Branche?«
Er hob die Schultern. »Kann sein. Weiß nicht.«
Ich nippte an meinem Chianti. Seine Geschichte behagte mir nicht. Wahrscheinlich, weil ich einem Milchbart nicht abkaufen wollte, dass er mal eben 3000 Euro gemacht hatte.
Bastian stand auf. Er hatte sein Wasser nicht angerührt.
»Willst du nicht wissen, was ich koste?«, fragte ich grinsend.
»Wieviel wollen Sie?«
Ich nannte ihm mein Grundhonorar und den zusätzlichen Preis pro Seite. »40 Prozent Anzahlung.«
Er griff in die Hosentasche und zog ein Bündel
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