Wasdunkelbleibt
Forschungstätigkeit durchzusetzen.« Nero hatte die Kriminellen über. Die Konfrontation mit dem Bösen, dem Schlechten, dem ewig Negativen machte ihn kaputt.
»Da lobe ich mir die Freiheit des privaten Unternehmertums«, grinste Claude-Yves. »Ich bin mein eigener Herr.«
»Und deine Gäste sind die Könige!«
»Eure Hochzeit feiert ihr hier. Kein Widerspruch.«
»Hör schon auf. Das mit dem Heiraten ist längst nicht beschlossen«, wehrte ich ab.
»Irgendwann wird es ja soweit sein. Ob in diesem oder im nächsten Jahr – egal. Ihr seid willkommen!«
»Lieb von dir.«
»Worüber brütest du?«
»So weit weg vom Leben bin ich nicht, Claude! Klar passieren im Netz tausend Dinge, von denen wir einfach nichts wissen wollen. Was ich bloß gar nicht kapiere: Warum will er von seinem sauer verdienten Hackerlohn eine Ghostwriterin bezahlen?«
»Sein Vater ist Eigentümer der Europa-Apotheke. Und der hat richtig Kohle, Kea.«
»Söhnchen schnorrt von Väterchen Geld? Das Bürschchen hat seine eigenen Einkünfte.« An die Möglichkeit, dass ich Blutgeld verdiente, mochte ich nicht denken. 3000 Euro: War das viel oder wenig in der Branche? Und wieviel war davon überhaupt übrig? Konnte man als Hacker mit ein paar Aktionen reich werden? Für mich war das nichts mehr. Es war wie beim Fremdsprachenlernen: Ich hatte zu spät angefangen.
6
Bastian ließ sich bald in eine neue Geschichte hineinziehen. Er hackte sich in die Rechner einer kleinen hessischen Gemeinde in der Rhön und installierte einen Sniffer; die kleine Computerwanze griff sämtliche ein- und ausgehenden Daten ab. Bastian hätte zu allem Zugang bekommen, wenn er gewollt hätte. Er hätte Bewohner aus dem Register löschen und neue eintragen können. Aus Jux registrierte er einen fiktiven Einwohner namens Karlsson vom Dach. Aber dann schlug erneut die Angst zu, er verwischte seine Spuren und verschwand so lautlos aus dem kommunalen Netz, wie er gekommen war.
Bastian spürte, dass in ihm ein Rebell verborgen lag, der sich anschickte, Mauern einzureißen und Licht ins Dunkel zu bringen, und diese innere Kraft ängstigte ihn. Obwohl Dv 0 ttny sich in der digitalen Welt als abgeklärter Streber gab und Stück für Stück begann, sich eine virtuelle Identität auszutüfteln – er schreckte vor den Konsequenzen zurück. Einige Wochen lang tat er nur das im Netz, was Millionen anderer Nutzer machten: Er schrieb Mails, lud Musik runter, stöberte auf Facebook herum, schaute sich Filme an und recherchierte für ein Geschichtsreferat.
Zwei Ereignisse rissen ihn aus seiner lethargischen Vorsicht. Zum einen besuchte seine Mutter mit ihren Lehrerkollegen eine Fortbildung zum Thema ›Jugendliche Hacker‹. Sie stellte fest, dass eine Reihe von dort erläuterten Eigenschaften genau auf ihren Sohn zutrafen. Eines Abends verwickelte sie Bastian in ein Gespräch. Sie wollte vorfühlen, wie weit er zu gehen bereit war. Bastian kam sich ausgehorcht vor, bemühte sich aber, arglos zu tun, um sich nicht verdächtig zu machen. Er war im Hacking viel zu fortgeschritten, als dass seine Familie ihn aufhalten konnte. Der Argwohn seiner Mutter gab ihm den Kick. Ihm dämmerte, dass er direkt unter den Augen seiner Eltern die größten und bestbewachten Unternehmen der Welt ärgern konnte. Die Bandbreite seiner Möglichkeiten versetzte ihn in einen permanenten Rausch.
Der zweite Wendepunkt in jener Zeit war Joss. Sein Kumpel verliebte sich in ein Mädchen aus der Parallelklasse. Ira, die ihre rote Mähne ziemlich theatralisch herumschleuderte und jeden Morgen vor der ersten Stunde unter großem Tamtam den knalllila Lippenstift wegwischte, um ihn mittags an der Bushaltestelle wieder aufzutragen. Sie war der Star der Schule. Alle Jungs träumten von ihr. Joss hatte das Rennen gemacht, vorläufig jedenfalls, und die gemeinsamen Erkundungstouren durch München wurden Vergangenheit. Bastian langweilte sich. Weil er ziemlich gut in der Schule war, hatten seine Eltern keinen Grund zu motzen, wenn er stundenlang vor dem Rechner hockte. Er vernachlässigte keine Hausaufgaben, keine Referate. Aber sobald alles erledigt war, klinkte er sich in seinen früheren Chatroom ein.
Dort wurde er keineswegs mit großem Hallo begrüßt. Seine lange Abwesenheit gab eher Anlass zu Misstrauen. Nur ein Typ mit dem Akronym nbn6 tauschte sich mit Dv 0 ttny aus. Ein paar Tage später fragte nbn6:
Bereit, einen Hack zu machen, Dv0ttny?
Worum geht’s?
Ich will die Daten von den Kunden
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