Wassermelone: Roman (German Edition)
alle um mich herum wie auch für mich selbst.
Überrascht merkte ich morgens beim Aufwachen, dass ich unbedingt etwas zu trinken brauchte. Noch überraschter war ich, dass ich dann morgens tatsächlich auch trank. Dann aber hörte die Überraschung auf, und es wurde zum Normalzustand.
Tag für Tag betrunken zu sein wurde mir zur Gewohnheit. Sobald ich wieder nüchtern war, griff ich einfach nach der nächstbesten Flasche und ließ mich erneut volllaufen. Ich ging nicht zur Arbeit. Ich aß nicht. Ich wusch mich nicht. Nichts war mir wichtig, außer ich selbst und mein Alkohol. Ihn liebte ich über alles. Ich hatte richtige Saufexzesse. Dann war ich wieder eine Weile nüchtern, konnte den Alltag bewältigen und andere überzeugen, dass ich mir diesmal wirklich Mühe geben würde aufzuhören. Dass ich wirklich nicht mehr trinken würde.
Es ist einfach zum Brüllen. Ich war fest überzeugt, ich sei zu klug, um zu einer Trinkerin zu werden. Obwohl ich mich wie eine typische chronische Trinkerin aufführte, glaubte ich, anders zu sein. Ich war überzeugt, jederzeit aufhören zu können, wenn ich das nur wollte.
Es wurde immer schlimmer. Ich hatte fast keine Freunde mehr, weil ich sie so oft belogen und im Stich gelassen hatte. Ich war nicht bereit, meine Wohnung zu verlassen und mich mit anderen zu treffen, weil ich dann keine Möglichkeit gehabt hätte zu trinken. Ich merkte allmählich ganz deutlich, dass ich diese Hölle, denn das war mein Leben, nicht länger aushalten würde.
Ich war körperlich krank und wog kaum noch fünfundvierzig Kilo, ich war seelisch und emotional krank sowie geistig bankrott.
Ich nahm eine Überdosis. Es war ein ziemlich hilfloser Selbstmordversuch. Anschließend sorgte mein Vater dafür, dass ich an meinem Arbeitsplatz beurlaubt wurde und eine Entziehungskur machte. Sie dauerte sechs Wochen, danach war ich sechs Wochen in Dublin.
Mein Leben sieht jetzt völlig anders aus. Es grenzt an ein Wunder. Seit über drei Jahren bin ich trocken, und es waren die herrlichsten, schönsten, fantastischsten Jahre meines Lebens.
Alles, was ich mir je erträumt habe, ist Wirklichkeit geworden. Schon immer hatte ich schreiben wollen, aber nie etwas in der Richtung unternommen. Es war im September 1993. Mir war elend, weil ich gerade fünf Tage ununterbrochen getrunken hatte. In einer Zeitschrift las ich eine Kurzgeschichte, die einen Preis gewonnen hatte. Sie war ganz hübsch, aber eine Stimme in meinem Kopf sagte: »Du könntest eine mindestens ebenso gute schreiben.« Ich nahm Stift und Papier und fing an. Ich verfasste eine Kurzgeschichte über einen Engel. Es war unglaublich: Sie kam aus dem Nichts, und ich warf sie in einem Zug auf das Papier. In den nächsten drei Monaten verfasste ich vier weitere Kurzgeschichten, auf die ich sehr stolz bin. Ich trank sehr viel und schaffte es, die Geschichten zwischen den Saufexzessen zu schreiben. Im Januar 1994 bin ich dann in den Entzug gegangen, und mein Schreiben hörte erst einmal auf. Als ich im April 1994 nach London zurückkehrte, versuchte ich einige meiner Geschichten veröffentlichen zu lassen. Ich schickte sie an Poolbeg und einen anderen irischen Verlag und erwähnte in meinem Begleitbrief, dass ich fünfzehntausend Wörter eines Romans fertig hätte. Das stimmte aber nicht, ich dachte lediglich, es werde einen guten Eindruck machen. Dann kam ein Brief von Kate Cruise O’Brien aus dem Hause Poolbeg, die mir mitteilte, ihr gefielen die Geschichten, sie könne aber von einem unbekannten Autor keinen Band mit Kurzgeschichten herausbringen, und sie würde gern die fünfzehntausend Wörter meines angeblichen Romans lesen. Da muss ich mich dann wohl hinsetzen und sie schreiben , dachte ich. Also habe ich in einer Woche zwölftausend Wörter zu Papier gebracht, ihr das Ergebnis geschickt, und es hat ihr gefallen.
Nichts in meinem Leben hat mich je so befriedigt und mir solche Freude gemacht, wie an Wassermelone zu arbeiten. Schreiben ist eine ungeheuer befriedigende Tätigkeit. Ich hätte nie geglaubt, dass mir irgendeine Arbeit je Spaß machen würde, aber ich habe das Gefühl, endlich zu wissen, wozu ich auf der Welt bin. Und es ist so leicht . Der größte Teil von Wassermelone hat sich praktisch von selbst geschrieben. Ich kann es gar nicht abwarten, mit dem nächsten Buch anzufangen.
Und so viele andere wunderbare Dinge sind mir in der Zeit meines Nüchternseins widerfahren. Bei den Anonymen Alkoholikern habe ich einige ganz
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