Geheimnisvoll wie der Orient
1. KAPITEL
Tair Al Sharif galt als geschickter Diplomat, dem schon in einigen schwierigen Beratungsrunden die Rolle des Verhandlungsführers zugefallen war. Heute Abend wurde er seinem Ruf jedoch keineswegs gerecht. Im Gegenteil, er war drauf und dran, völlig undiplomatisch vorzugehen.
Seit einer Weile schon beobachtete er, wie die Blicke seines Cousins immer wieder zu der jungen Engländerin schweiften, die ihm an der Festtafel gegenübersaß. Am liebsten hätte er den jungen Mann gepackt und geschüttelt. Was wurde da gespielt?
„Wie geht es deinem Vater, Tair?“
Die leise Tischunterhaltung brach ab, und Tair, dessen Aufmerksamkeit bis dahin ganz von seinem Cousin, dem Kronprinzen von Zarhat, in Anspruch genommen war, wandte sich nun dem Herrscher des Landes zu.
„Hassans Tod war ein schwerer Schock fürihn.“
König Hakim von Zarhat seufzte und schüttelte den Kopf. „Es gibt nichts Schlimmeres, als in das Grab der eigenen Kinder zu blicken. Das entspricht nicht dem natürlichen Lauf der Welt. Immerhin bist du ihm geblieben. Das ist sicher ein großer Trost für ihn.“
Wenn dem so war, dann verbarg sein Vater seine Gefühle ausgezeichnet.
Tairs blaue Augen blitzten kurz auf, als er sich an das letzte Gespräch mit ihm erinnerte …
„Ich habe dir vertraut. Und was ist dabei herausgekommen?“ Mit vor Erregung gerötetem Gesicht ließ König Malik, der Herrscher von Zabrania, seine Faust auf den Tisch donnern, sodass die Gläser klirrten.
Als kleiner Junge hatte Tair immer versucht, sich seine Angst vor den unberechenbaren Ausbrüchen seines Vaters nicht anmerken zu lassen. Inzwischen empfand er diese Wutanfälle nicht mehr als bedrohlich. Sie waren ihm nur noch peinlich.
„Ich komme nicht darüber hinweg, dass dein Bruder bei diesem Unfall sterben musste. Er ist mir immer mit Respekt und Loyalität begegnet und hat stets in meinem Interesse gehandelt. Du hingegen hast meinen Schmerz ausgenutzt, um deine eigenen Geschäfte einzufädeln.“
„Ich habe mehrfach versucht, dich in Paris zu erreichen.“
Die Trauer um seinen ältesten Sohn hatte Tairs Vater nicht davon abgehalten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
König Malik wedelte nur ungeduldig mit der Hand, an der schwere Goldringe blitzten. Seine Miene verriet allergrößten Unmut.
„Leider hat man mir mitgeteilt, dass du unter keinen Umständen gestört werden möchtest.“ Tair war klar gewesen, was das bedeutete: Sein Vater steckte mitten in einem Pokerspiel, und er spielte um hohe Einsätze.
Malik kniff die Augen zusammen und blickte seinen Sohn ohne das geringste Zeichen von Zuneigung an.
„Weißt du, was dein Problem ist? Du hast keine Visionen. Du denkst nicht in großen Dimensionen. Eine Meerwasserentsalzungsanlage, wenn ich das schon höre!“, presste er hervor. „Du hast die Bohrrechte vergeben. Und was ist für uns dabei herausgesprungen? Eine Entsalzungsanlage statt einer neuen Jacht!“
„Mehr als das. Für das Unternehmen werden einheimische Arbeiter eingestellt und ausgebildet. Darüber hinaus erhalten sie fünfzig Prozent des Gewinns, sobald die Anlage profitabel ist.“
Die Manager der international tätigen Firma waren nicht gerade glücklich über seine Forderungen gewesen. Man war davon ausgegangen, dass Tair in Vertretung seines Vaters die Verträge unbesehen unterschreiben würde. Mit gemischten Gefühlen, aber voller Respekt hatten die ausländischen Vertreter schließlich den Verhandlungstisch verlassen.
Natürlich habe ich sie überrumpelt, dachte Tair, darauf waren sie nicht gefasst. Beim nächsten Mal – und der Reaktion seines Vaters nach zu schließen, würde dieser Tag in ferner Zukunft liegen – besäße er diesen Vorteil nicht mehr.
Dann lasse ich mir etwas anderes einfallen, ging es ihm durch den Kopf. Herausforderungen hatten ihn noch nie abgeschreckt.
„Sobald die Anlage profitabel ist!“ Sein Vater schnippte mit geschwollenen Fingern. Sein ausschweifender Lebensstil hatte seinem einst sportlichen Körper zugesetzt. „Und wann wird das sein? Die Jacht hätte ich in einem Monat bekommen!“
Tairs Bemerkung, an dem Schiff vom vergangenen Jahr sei eigentlich nichts auszusetzen, war nicht sehr wohlwollend aufgenommen worden. Und obwohl er nicht gerade ein Lob für seinen eigenmächtigen Geschäftsabschluss erwartet hatte, so waren die Vorwürfe seines Vaters doch schwer zu verdauen gewesen.
Den mahnend erhobenen Zeigefinger seines Onkels hingegen konnte er leichter verkraften.
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