Weatherly , L.A. - Dämonen des Lichts
wie ich wusste, seine Waffe steckte. »Äh … nein. Ich könnte sowieso nicht auf jemanden schießen, Alex.«
Er seufzte und strich sich das Haar zurück. »Nein, das habe ich mir schon gedacht. Hör mal, lass dich einfach … nicht blicken, okay? Pass auf dich auf. Ich beeile mich.«
»Okay«, sagte ich. Plötzlich wurde mir die Kehle trocken. »Sei vorsichtig, Alex. Bitte, sei bloß vorsichtig.«
»Ja, bin ich.« Er drehte sich um und ging auf die Straße zu, die Hände lässig in die Gesäßtaschen geschoben. Ein paar Minuten später bog er um die Ecke und war nicht mehr zu sehen. Schlagartig kamen mir die Bäume sehr still vor. Ich setzte meine Sonnenbrille auf. Dann ließ ich mich an der Außenwand des Motels nieder, lehnte mich dagegen, schlang die Arme um die Knie und versuchte, so wenig wie möglich aufzufallen. Es war warm, sogar hier im Schatten, und ich merkte, wie mein Nacken feucht wurde.
Die Minuten zogen sich in die Länge. Ich versuchte, sie zu zählen, und überlegte, ob Alex es mittlerweile wohl schon bis zur Werkstatt geschafft hatte. Oh Gott, bitte mach, dass alles in Ordnung ist mit ihm. Wer auch immer uns beobachtet hat, bitte, lass ihn denken, dass wir noch immer in unserem Zimmer hocken, wo wir viel zu süße Donuts essen und schauderhaften Motelkaffee trinken.
Nach einer Weile wurden meine Beine steif. Ich stand auf, presste mich an die raue graue Rinde einer Kiefer, während ich auf die Straße hinausstarrte. Inzwischen musste er doch sicherlich angekommen sein? Warum dauerte das so lange? Auf der anderen Straßenseite saß eine Frau in einem leuchtend gelben Sommerkleid und wartete auf den Bus. Neben ihr stand ein Kinderwagen, und während ich sie beobachtete, schaute sie lachend und kopfschüttelnd hinein und machte dann eine Bewegung, als rückte sie die Decke ihres Babys zurecht. Sie sah so glücklich aus, dass ich spürte, wie meine Nervosität ein wenig nachließ.
Unvermittelt sah die Frau erschrocken auf. Und als ich ihrem Blick folgte, blieb mir fast das Herz stehen.
Ein Engel kam auf sie zugeflogen.
Die Rinde bohrte sich spitz in meine Wange, als ich mich an den Baum drückte. Mein Puls ging rasend schnell. Ich wollte nicht hinsehen, aber ich konnte den Blick nicht abwenden. Der Engel war weiblich. Ihr langes Haar fiel ihr über den Rücken, ihr Heiligenschein leuchtete und ihre Gewänder bauschten sich um ihre Beine, als sie landete. Ihre prächtigen Schwingen waren weit ausgebreitet. Sie faltete sie hinter ihrem Rücken und trat einen Schritt vor. Sie legte ihre Hände auf die Frau, die staunend zu ihr aufsah. Und begann, sich zu nähren.
Die Lebensenergie der Frau erschien vor meinen Augen. Ich konnte sehen, wie sie ausgesogen wurde, zusammenschrumpfte. Ihr lebhaftes Rosaviolett verwandelte sich in ein stumpfes Grau. Und währenddessen saß die Frau einfach nur auf der Bank und blickte mit einem derart liebevollen, dankbaren Ausdruck zu dem Engel hinauf, dass ich den Kopf einziehen und die Augen fest zukneifen musste. Von Ferne hörte ich, dass ihr Baby anfing zu weinen.
Dann war da das Geräusch eines Autos, das näher kam und abbremste.
Ich zwang mich, den Blick zu heben. Es war Alex, der an den Bordstein fuhr. Hinter ihm, auf der anderen Straßenseite, war der Engel immer noch dabei, sich zu nähren. Ihre Flügel öffneten und schlossen sich gemächlich. Sie hatte den Kopf zurückgelegt und lächelte. Ihr Heiligenschein strahlte.
Beweg dich!, schrie ich mir innerlich zu. Du musst!
Meine Beine fühlten sich an wie Pudding. Ich achtete nicht darauf, schnappte mir unsere Taschen und rannte zum Auto. Als ich den Schatten verließ, schien der Engel in einer Kaskade aus Licht förmlich zu explodieren, blendend hell wurde das Sonnenlicht von ihren weißen Flügeln reflektiert. Alex beugte sich über den Beifahrersitz und öffnete mir die Tür. Ich schob die Taschen hinein und er schleuderte sie auf den Rücksitz. Dann warf ich mich in den Sitz und knallte die Tür zu. »Schnell weg hier«, sagte ich mit zitternder Stimme.
Er fuhr los und blickte mich scharf an. »Was ist los? Hast du jemanden gesehen?«
Ich schüttelte den Kopf. Und dann – ich konnte einfach nicht anders – drehte ich mich um und blickte über die Schulter zurück.
Der Engel war nicht mehr da, an seiner Stelle stand jetzt eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren und einem hübschen weißen Top. Ich sah, wie sie leicht die Schulter ihres Opfers berührte, bevor sie den Bürgersteig
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