Weihnachten mit Mama
Doch, doch … es ist wie Weihnachten. Karin hat schon recht. Sie ist vielleicht nicht die Intelligenteste, aber sie hat intuitiv gespürt und zum Ausdruck gebracht, was meine Aufgabe gewesen wäre: der jungen Mutter und ihrem Kind, auch wenn es noch ungeboren ist, hier ein Willkommen zu geben. Eine Krippe, wenn du so willst. Und jetzt gehe ich da wieder rein«, wiederholte sie. Und dann leiser, als sie sich abwandte: »Ach, Laura … mein Kind.«
Ich blieb draußen und zündete mir einen Zigarillo an. Das war alles zu viel für mich. Und so kann ich hier nicht berichten, wie die Versöhnung vor sich ging und wer wie viele Tränen vergoss. Ich stand auf diesem saukalten Balkon, die letzten Schneeflocken, die vom Himmel fielen, tanzten im Licht der Laterne, und vermutlich holte ich mir eine Erkältung, eine Lungenentzündung oder noch was Schlimmeres. Und ich dachte daran, dass mein Papa mich angenommen hatte, damals, als noch gar nicht ausgemacht war, dass er mich seinen Sprössling nennen konnte. Vielleicht war es in jenem Augenblick gewesen, dass unsere Familie gegründet wurde: als Papa Ja zu mir sagte. Und ich sein Sohn wurde, so oder so.
Julie öffnete die Balkontür, trat zu mir hinaus und fasste mich am Arm. Ich drehte mich um, und ihr über alle Maßen bezauberndes Lächeln traf mich wie ein Pfeil aus sicherem Bogen.
»Ich weiß, mein Herz … ich weiß«, sagte sie und hielt mich eine Zeit lang still umarmt. »Aber nun komm wieder rein …«
Ich nickte und atmete einmal tief durch.
»Ist das nicht verrückt«, sagte ich, überflutet von Glück, und wies auf die weihnachtlich geschmückten und erleuchteten Fenster, »dass zu diesem Fest tatsächlich das Christkind kommt?«
Julie streichelte mir die Wange. »Ja … mein lieber, guter Weihnachtsmann. Du … mein Eld des Tages.«
Als solcher jedoch fühlte ich mich gar nicht. »Du bist verblendet, wie immer«, sagte ich mürrisch, obwohl ich mich freute. »Die wahre Heldin ist übrigens da drinnen.« Ich wies auf das Fenster des Salons.
Ja, dieses Weihnachten hatte eine Heldin, und die stand, wie ich durch die großen, hell erleuchteten Balkonfenster sah, inmitten all ihrer Lieben, die sie umringten. Sie hielt Laura fest umarmt, und ihr Blick traf sich mit meinem. Sie blinzelte mir zu.
Ganz offensichtlich wusste Mama nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.
Also tat sie beides.
Epilog
S ie lag neben mir im Bett, in einem der kleinen Gästezimmer der elterlichen Wohnung, während Tante Charlotte in meinem früheren Kinderzimmer logierte und dieses Privileg womöglich gar nicht zu schätzen wusste. Ich aber wusste durchaus zu schätzen, dass ich in dieser Heiligen Nacht nicht allein bleiben musste, sondern die Gefährtin meines Lebens bei mir hatte, so nah, wie man es sich nur wünschen kann.
Irgendwann, zwischen ein und zwei Uhr in der Früh, hatten sich die letzten Gäste empfohlen beziehungsweise in die ihnen zugewiesenen Gemächer zurückgezogen. Francis war fürstlich entlohnt worden und hatte sich mit einer tiefen Verbeugung verabschiedet. Heiligabend war vorüber. Am Himmel stand tatsächlich ein voller Mond, den unzählige Sterne in klarer Nacht umfunkelten und dem sie ein traumreich glitzerndes Bett bereiteten.
Es hatte längst zu schneien aufgehört, die schweren Wolken hatten sich verzogen und Platz gemacht für den Stern von Bethlehem, der auch über uns hinweggezogen war. Ich schaute aus dem Fenster, die ruhig in meinem Arm atmende Frau an mich gedrückt, und wie in einem Kinotrailer die schönsten und aufregendsten Szenenschnipsel eines Films aneinandermontiert sind,
so rauschten die Szenen des vergangenen Abends an meinem inneren Auge vorüber. Und ich überließ mich dem Sturm der Bilder und Gefühle so ohne Hemmung oder gar Widerstand, dass es mich selbst erstaunte, wie ich hier so ruhig liegen konnte, nach all dem Chaos der vergangenen Tage.
Julie rekelte sich schlaftrunken. Sie hatte gar nicht geschlafen, sondern wohl auch im Garten ihrer Gedanken gelustwandelt. Ich malte mir aus, dass sie dabei auch meiner in reiner Zärtlichkeit gedachte, aber das war wohl nichts als ein poetisches Hirngespinst. Dass meine schöne Frau nicht musizierende Engel oder die himmlische Liebe zu ihrem Gemahl im Sinn hatte, sondern Lauras Offenbarung, war zu spüren, als ihre streichelfreudigen Finger aktiv wurden, aber auch zu hören, als sie mir mit rauer Stimme ins Ohr flüsterte: »Jean?!«
»Ja, mein Sternchen.«
»Oh … Sternchen … wie
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