Weil deine Augen ihn nicht sehen
der Gedanke gekommen, seinen Termin an diesem Morgen abzusagen. Er wusste, dass die Bullen ihre Untersuchungen damit beginnen würden, alle Handwerker, die in der Nähe von Frawleys Haus beschäftigt waren, zu überprüfen. Gut möglich, dass sie ihn auf ihrer Liste haben würden, weil Bailey in der High Ridge Road wohnte, nur zwei Häuserblocks von der Old Woods entfernt.
Aber die Bullen werden keinen Grund haben, mich genauer unter die Lupe zu nehmen, sagte er sich. Seit zwanzig Jahren fahr ich die Leute aus dieser Gegend herum, und ich bin nie irgendwie aufgefallen. Er beruhigte sich mit dem Gedanken, dass seine Nachbarn im nahen Danbury, wo er wohnte, ihn als einen ruhigen Einzelgänger ansahen, dessen Hobby darin bestand, vom Flughafen Danbury aus gelegentlich eine Runde in einem Sportflugzeug zu drehen. Ansonsten hatte es ihn immer amüsiert, den Leuten von seiner Liebe zum Wandern vorzuschwärmen. Das war regelmäßig seine
Erklärung, wenn er einen Auftrag absagte und einen Ersatzfahrer schickte. In der Gegend, in der er angeblich zum Wandern unterwegs war, befand sich natürlich meistens ein Haus, das er sich für einen Einbruch ausgesucht hatte.
Als er an diesem Morgen zu Bailey unterwegs war, widerstand er der Versuchung, am Haus der Frawleys vorbeizufahren. Das wäre ziemlich verrückt gewesen. Er konnte sich lebhaft vorstellen, was dort inzwischen los sein musste. Er fragte sich, ob das FBI schon eingeschaltet worden war. Was hatten sie wohl bisher herausgefunden? Er musste unwillkürlich grinsen. Dass man das Schloss an der Hintertür mit einer Scheckkarte aufbekam? Dass man sich leicht hinter dem wild wuchernden Gebüsch verbergen und von dort beobachten konnte, dass die Babysitterin sich auf der Couch fläzte und stundenlang in ihr Handy quatschte? Dass man nur einen Blick durch das Küchenfenster werfen musste, um festzustellen, dass man über die Hintertreppe in den oberen Stock gelangen konnte, ohne dass die Babysitterin etwas davon mitbekam? Dass mindestens zwei Personen beteiligt gewesen sein mussten, eine, um die Babysitterin auszuschalten, eine andere, um die Kinder ruhig zu halten?
Fünf Minuten vor fünf bog er in die Auffahrt von Franklin Bailey ein, ließ den Motor laufen, damit es im Wagen auch schön warm für den Herrn Oberbuchhalter blieb, und nahm einstweilen damit vorlieb, sich den großen Haufen Geld vorzustellen, den er als seinen Anteil an der Lösegeldsumme erhalten würde.
Die Haustür der schmucken Villa im Tudor-Stil ging auf. Lucas sprang aus dem Wagen und beeilte sich, die rechte Hintertür für seinen Kunden zu öffnen. Eine seiner kleinen Aufmerksamkeiten bestand darin, dass der rechte Vordersitz immer so weit wie möglich nach vorne geschoben war, damit auf der Rückbank möglichst viel Platz für die Beine blieb.
Bailey hatte silbergraues Haar und ging auf die Siebzig zu. Mit abwesendem Blick murmelte er einen kurzen Gruß.
Doch als sich der Wagen in Bewegung setzte, sagte er: »Lucas, fahren Sie bitte durch die Old Woods Road. Ich möchte mich vergewissern, ob die Polizei noch da ist.«
Lucas spürte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte. Welchen Grund hatte Bailey, dort vorbeizuschauen? Sensationsgier wohl kaum. Er musste seine Gründe haben. Natürlich war Bailey in der Stadt ein hohes Tier. Schließlich war er eine Zeit lang Bürgermeister gewesen. Einerseits würde die Tatsache, dass er dort aufkreuzte, die Aufmerksamkeit von dem Wagen ablenken, in dem er gefahren wurde. Andererseits verließ sich Lucas immer auf das eisige Schaudern, das ihn stets dann überkam, wenn er sich dem wachsamen Auge des Gesetzes näherte, und genau dieses Schaudern spürte er auch jetzt.
»Ganz wie Sie wünschen, Mr. Bailey. Aber warum sollte die Polizei in der Old Woods Road sein?«
»Sie haben wohl die Nachrichten nicht gesehen, Lucas. In der vergangenen Nacht wurden die dreijährigen Zwillinge des Ehepaares, das vor kurzem in das alte Cunningham-Haus eingezogen ist, gekidnappt.«
»Gekidnappt! Das gibt’s doch nicht!«
»Ich fürchte, doch«, sagte Franklin Bailey grimmig. »Aber wer hätte gedacht, dass so etwas bei uns in Ridgefield geschehen könnte! Ich bin den Frawleys schon bei mehreren Gelegenheiten begegnet, und ich schätze sie sehr.«
Lucas passierte zwei Seitenstraßen und bog in die Old Woods Road ein. Vor dem Haus der Frawleys, in das er acht Stunden zuvor eingedrungen war, um die beiden Kleinen zu entführen, hatte die Polizei jetzt Sperrgitter errichtet. Obwohl
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