Weiß wie der Tod
vom Wasser mitgerissen, kleine bleiben in den Wunden stecken. Was war die Unterlage? PVC, Parkett, Metall, Beton? Mit Sicherheit kein Erdreich. Folglich musste sich der Tatort also in einem Haus oder Stall befinden, der von außen nicht einsehbar war und alle Schreie schluckte. Welche Orte in der Stadt kamen dafür in Frage?
Nicht viele. Leere Häuser, verwaiste Mietwohnungen, verlassene Fabrikgelände. Ja, da gab es einige. Würde der Täter dieses Risiko eingehen, wenn er ein paar Kilometer weiter auf dem Land die freie Auswahl hatte?
Dort hätte er die Leichen zum Wasser transportieren müssen, um sie zu entsorgen. Zwischen der Schleuse bei Geesthacht und dem Hamburger Wassernetz gab es Möglichkeiten, zwischen Elbmündung und der Stadtgrenze auch. Nicht wenige. Er wäre das Risiko eingegangen, beobachtet zu werden. Zudem erforderte es ein Fahrzeug mit großer Ladefläche. Geschlossen musste es sein. Ein kleiner, unverschuldeter Unfall hätte gereicht, und er wäre aufgeflogen. Er musste die Fracht während der ganzen Fahrt sicher versteckt halten.
Ein großer Aufwand.
Leichter hätte er es in der Stadt gehabt. Ungehinderten Zugang zur Elbe vorausgesetzt.
Stopp. Da war noch was. Was musste der Tatort alles erfüllen?
Abgeschieden sein, störungsfrei und in Wassernähe.
Ein Boot oder ein Schiff erfüllte die Bedingungen, sofern eine Kajüte vorhanden war. Sie musste groß genug sein. Für das Opfer und den Täter, der zum Schlag mit einem Stock ausholt. Das musste eine verdammt hohe Kajüte sein. Außerdem wäre der Mann Gefahr gelaufen, von der Wasserschutzpolizei kontrolliert zu werden. Vor Anker lag das Schiff während der Folter auf jeden Fall nicht. Zudem musste er das Opfer geknebelt haben.
Levy überprüfte die Opferaufnahmen nach Knebelspuren. Nein, keine vorhanden. Hätten aber nach dieser Theorie vorhanden sein müssen. Die Männer hatten sich gewehrt, geschrien, um ihr Leben gekämpft. Das hätte Spuren hinterlassen, die der Täter nicht hätte vermeiden können. Also kein Schiff.
Zurück zum Täterverhalten.
Du wolltest keinen Sex. Der Anus war unversehrt, der Penis nicht Zentrum deines Tuns. Der Mund des Opfers viel zu gefährlich. Eine andere sexuelle Handlung war nicht nachzuweisen.
Deine Aggression hat sich gegen den ganzen Körper gerichtet. Gegen den Menschen, gegen das Individuum. War das Opfer ein Stellvertreter? Jemand, der jemand anderem entsprach, der dich verletzt, beleidigt oder der dir etwas angetan hat?
Was war dein wunder Punkt?
Diese Frage führte ins Unendliche. Sie musste zurückgestellt werden.
Stattdessen die Wahl der Waffe. Ein Stock.
Wieso ein Stock und nicht die Faust oder ein Messer, ein Strick, eine Pistole?
Was war die Natur des Stocks beziehungsweise des Stockschlagens?
Der Fachbegriff lautete Flagellation, vom lateinischen flagellum, die Geißel.
Hätte Levy normalerweise das Lexikon, die Fachliteratur oder das Internet bemühen müssen, so hatte er jetzt alles parat. Ohne Mühe war es da, aus den Tiefen seines Unterbewusstseins kam es angeflogen. Schnipp, ohne jede Anstrengung. Er liebte diese Droge schon jetzt.
Mit Flagellation wurde das Auspeitschen mit einer Peitsche, einer Rute oder einem Rohrstock bezeichnet. Es wurde zu verschiedenen Zwecken und aus unterschiedlichen Beweggründen heraus angewandt.
Naheliegend war der Einsatz in Schulen, Klöstern und ähnlichen Anstalten zum Zweck der Züchtigung. Gefolgt als Körperstrafe in der Rechtsprechung. Noch heute wurden Menschen auf richterliche Anordnung hin zu Tode geprügelt, geschlagen, gepeitscht.
Der nächste Bereich umfasste die Buße im religiösen Sinn, allerdings nur im Zuge der Selbstgeißelung. Ägypter, Juden, Christen und Moslems wandten sie an, der seelischen Reinigung wegen oder um das Selbst zu transformieren – eine Pädagogik der Existenz.
Schließlich eröffnete das schier unbegrenzte Feld der Sexualität zahlreiche Anwendungsformen. Neudeutsch auch Spanking genannt. Ziel war es jedoch, dem Sexualpartner keine Verletzungen zuzufügen.
Also, aus welcher Gruppe stammst du?
Bist du ein Bestrafer, ein Büßer oder ein Spanker?
Der sexuelle Hintergrund mochte Levy nicht einleuchten. Blieb Buße oder Strafe. Buße war meistens gegen sich selbst gerichtet. Das würde wohl ausscheiden.
Strafe.
Du bist ein Ankläger, ein Richter, ein Vollstrecker.
Welche Verfehlung hat das Opfer begangen? Welche Schuld hat es auf sich geladen?
Um diese Frage zu beantworten, hätte Levy das
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