Wellentraum
Zeiten – und die Vorschriften – hatten sich geändert.
Caleb konfiszierte die Kühlbox, die randvoll mit Bier war.
»Sie können sie nicht mitnehmen«, widersprach einer der Halbstarken. »Ich bin einundzwanzig. Sie gehört mir.«
Caleb hob eine Augenbraue. »Sie haben sie gefunden?«
»Ich habe sie gekauft.«
Was bedeutete, dass man ihm die Weitergabe von Alkohol an Minderjährige zur Last legen konnte.
Caleb nickte. »Und Sie sind …?«
Der Junge schob den Unterkiefer vor. »Robert Stowe.«
»Kann ich mal Ihren Führerschein sehen, Mr. Stowe?«
Er ließ sie das Feuer löschen, während er ihre Personalien aufnahm: sieben Verwarnungen und – im Falle des einundzwanzigjährigen Robert Stowe – eine Vorladung vor das Bezirksgericht.
Er gab ihnen zusammen mit den Verwarnungen ihre Führerscheine zurück. »Ihr Jungs bringt jetzt die Mädchen zu Fuß nach Hause. Morgen früh will ich eure Autos immer noch hier stehen sehen.«
»Es ist zu weit zum Laufen«, klagte eine hübsche, trotzige Brünette. »Und es ist dunkel.«
Caleb sah von dem letzten, hauchzarten Pink am Himmel zu dem Mädchen. Jessica Dalton stand in ihrem Führerschein, achtzehn Jahre alt. Ihr Daddy war ein Darmchirurg aus Boston, dessen Haus direkt am Wasser stand, nur etwa eineinhalb Kilometer die Straße hinunter.
»Ich rufe gern eure Eltern an, damit sie euch abholen kommen«, bot er an, ohne eine Miene zu verziehen.
»Scheiß drauf«, verkündete der neunzehn Jahre alte Besitzer des Jeeps. »Ich fahre.«
»Wenn ich erst mal anfange, euch auf Alkohol am Steuer zu testen, wird es eine lange Nacht«, erwiderte Caleb gleichmütig. »Besonders, wenn ich dein Fahrzeug beschlagnahme.«
»Das können Sie nicht machen«, protestierte Stowe.
Caleb sah ihn mit festem Blick an.
»Komm schon, Robbie.« Das andere Mädchen zog ihn am Arm. »Wir können zu mir gehen.«
Caleb sah zu, wie sie sich in Gang setzten und über den Sand davonstolperten.
»Ich kann meinen Pulli nicht finden.«
»Na und? Der ist doch total hässlich.«
»Du bist auch hässlich.«
»Jetzt komm schon.«
Ihre Stimmen verhallten in der Dämmerung. Caleb wartete darauf, dass sie den Weg zu ihren Autos einschlugen, aber etwas – vielleicht seine Drohung, ihre Eltern zu benachrichtigen, seine glänzende neue Polizeimarke oder sein Röntgenblick – hatte sie wohl davon überzeugt, ihre Fahrzeuge über Nacht stehen zu lassen.
Er wischte sich mit der Hand über die Stirn, um bestürzt festzustellen, dass beide schweißnass waren.
Das war okay.
Er war okay.
Ihm ging es ganz hervorragend, verdammt noch mal.
Er stand da, das Geräusch der Brandung in den Ohren, und atmete die würzige Salzluft ein, bis seine Haut abgekühlt und sein Herzschlag langsamer geworden war. Als er das Zucken zwischen den Schulterblättern nicht mehr spürte, hievte er die Kühlbox hoch und schleppte sie zum Jeep. Sein Knie kippte zunächst weg, stellte sich dann aber auf sein Gewicht auf dem weichen Sand ein. Er hatte den 2 , 5 -Kilometer-Lauf absolviert, den der Staat Maine vorschrieb, um seine Diensttauglichkeit zu beweisen. Aber das war in flachem Gelände gewesen, nicht auf unebenem Boden im Dunkeln, auf dem er um festen Stand ringen musste.
Er verstaute das Beweisstück im Heck, schlug die Ladeklappe zu und sah zum Strand zurück.
Die Gestalt einer Frau leuchtete am Wasser auf, ins Zwielicht und ein Handtuch gehüllt. Die See leckte an ihren nackten, weißen Füßen. Ihr langes, dunkles Haar wehte in der Brise. Ihr Gesicht war bleich und so vollkommen wie der Mond.
Eine Sekunde versetzte ihm der Anblick einen Stoß in die Brust und raubte ihm die Sprache. Den Atem. Sehnsucht rauschte durch seine Seele wie der Wind über das Wasser und wühlte ihn bis ins tiefste Innere auf. Seine Hände ballten sich an seinen Seiten zu Fäusten.
Das war
nicht
okay. Er unterdrückte die wilden Phantasien. Sie war noch ein Kind. Ein Mädchen. Ein minderjähriges Mädchen in einem viel zu großen Pullover mit einem – sein Blick fiel erneut nach unten, nur ganz kurz – wirklich ansehnlichen Vorbau.
Und er war Polizist. Es wurde Zeit, auch wie ein Polizist zu denken. Das rätselhafte Mädchen hatte nicht zu der Gruppe am Feuer gehört. Wo also hatte sie sich versteckt gehalten?
Caleb stapfte durch die Bäume zurück. Das Mädchen stand mit den nackten Füßen im Sand da und verfolgte, wie er näher kam. Wenigstens würde er ihr nicht nachjagen müssen.
Er blieb einige Meter von ihr
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