1830 - Der Tod lässt grüßen
Hiram Decker nickte sich selbst zu. Es war so etwas wie ein Startzeichen für ihn. Er trug Schuhe mit Gummisohlen. Damit konnte er schleichen. Man würde ihn kaum hören, und genau darauf kam es ihm an.
Er war derjenige, der überraschte. Der kam, zuschlug und dann wieder verschwand. Er mochte es, auf diesen weichen Sohlen zu laufen. So kam er sich vor wie ein Schatten, der plötzlich auftauchte und spurlos wieder verschwand, nachdem er das Grauen hinterlassen hatte. Er war der Mann fürs Grobe, aber seinen Job wollte er auf eine leise und auch feine Art erledigen.
Bald hatte er das Ende des Gangs erreicht. Dort blieb er stehen und lauschte. Er konzentrierte sich auf seine Umgebung und war froh, dass sich nichts verändert hatte.
Decker wusste, dass die Tür nicht abgeschlossen war. Da hatte er sich schon kundig gemacht. Er musste sich nur für eine Hälfte entscheiden und dachte an die rechte.
Zuvor allerdings gönnte er sich einen Blick durch das runde Fenster in der oberen Hälfte der Tür in den dahinter liegenden Raum.
Über sein glattes Gesicht huschte ein Lächeln. Er sah genau das, was er sehen wollte. Sein Opfer hatte den üblichen Platz eingenommen. Entspannt lag er auf seinem Liegestuhl. Decker sah sogar, dass er die Augen geschlossen hatte. Die Hände des Schlafenden lagen auf seinen Oberschenkeln. Er trug einen hellen Bademantel mit dem Emblem des Hotels auf der Brust.
In einer Minute würde er tot sein – spätestens. Decker würde seinen Job machen, und niemand würde ihn davon abhalten können.
Er öffnete die Tür.
Die eine Hälfte schwappte fast lautlos nach innen. Jedenfalls schien der Mann nichts zu hören. Decker ging davon aus, dass er schlief. In seiner Heimat – Russland – hatte er die Ruhe nicht, aber hier in Deutschland, in Baden-Baden, da konnte er entspannen und musste keine Angst vor irgendwelchen Killern haben, die ihm von der Konkurrenz geschickt wurden.
Decker schob sich in den Ruheraum. Ja, es war hier still zwischen den Wänden, allerdings auch etwas warm oder schwül, sodass ihm sofort der Schweiß auf die Stirn trat. Noch ein Grund, den Job schnell hinter sich zu bringen.
Auch jetzt waren die Schritte des Mannes kaum zu hören, als er sich durch den Raum bewegte und auf den Schlafenden zuging.
Vor der Liege blieb er stehen.
Dann holte er seine Waffe hervor.
Sie lag gut in der Hand, trotz des aufgeschraubten Schalldämpfers. Noch visierte er sein Opfer nur mit den Augen an. Der Russe merkte davon nichts. Aber er war es, der das einzige Geräusch in diesem Raum abgab. Ein leises Schnarchen oder Röcheln, das empfindliche Menschen wütend machen konnte.
Auch Decker mochte das Schnarchen nicht. Jetzt freute er sich darauf, es abstellen zu können.
Er visierte den Mann über den Lauf seiner Waffe an. Der Finger lag schon am Abzug, als Decker zögerte.
Der Russe hatte sich bewegt.
Das leise Schnarchen verstummte.
Dann bewegte sich der Kopf zur Seite. Zugleich fing der Mann an zu zwinkern. Sofort danach öffnete er die Augen, und jetzt musste er seinen Besucher sehen.
Der Russe begriff!
Nur war es zu spät für ihn. Als ihm klar wurde, was mit ihm passieren sollte, da drückte Hiram Decker ab. Er blieb ganz ruhig und schoss zweimal.
Beide Kugeln stanzten Löcher in die linke Brustseite des Russen. Der weiße Stoff des Bademantels färbte sich rot. Dann zuckte der Körper hoch und sackte sofort wieder zurück auf die Liege.
Geschafft!
Hiram Decker war zufrieden. Er lächelte und hätte sich am liebsten selbst auf die Schulter geklopft. Das ließ er bleiben, denn er wollte nicht länger als nötig am Tatort verweilen. Dass der Russe tot war, stand für ihn fest, davon brauchte er sich nicht erst zu überzeugen. Jetzt war es wichtig, so rasch wie möglich wieder zu verschwinden.
Er steckte die Waffe weg. Dann drehte er sich nach rechts, um auf die Tür zuzugehen.
Genau nach einem Schritt erwischte es ihn!
***
Plötzlich war alles anders.
Er konnte nicht mehr gehen. In seinem Körper hatte sich etwas ausgebreitet, das heiß und kalt zugleich war. Es brannte in seine Lunge hinein und raubte ihm die Luft.
Hiram Decker torkelte zur Seite. Ein Pfeifen verließ seinen Mund. Er richtete sich wieder auf, denn so schnell wollte er nicht aufgeben. Die Tür war nicht weit entfernt. Eine schon lächerliche Entfernung, die er nur überbrücken musste.
Das schaffte er nicht.
Etwas anderes war da.
Etwas Fremdes steckte in ihm, das ihn voll und ganz übernommen hatte. Er
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