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Wen die Goetter strafen

Titel: Wen die Goetter strafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sidney Sheldon
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sprechen, Mr. Henry?«
    »Ja.« Mit verkniffener Miene blickte er zu Kemal. »Warte draußen auf dem Gang.«
    Kemal stand auf, warf noch einen Blick auf das Messer und ging.
    »Mr. Henry«, setzte Dana an, »Kemal ist zwölf Jahre alt. Und den Großteil seines Lebens hat er beim Einschlafen nichts anderes gehört als das Krachen explodierender Bomben, jener Bomben, die seine Mutter, seinen Vater und seine Schwester töteten. Der Bomben, die ihm den Arm abrissen. Als ich Kemal in Sarajevo gefunden habe, lebte er in einem Pappkarton auf einem verwilderten Grundstück. Hunderte anderer obdachloser Jungen und Mädchen hausten dort buchstäblich wie die Tiere.« Sie hatte wieder alles vor Augen, bemühte sich aber darum, so ruhig wie möglich weiterzusprechen.
    »Inzwischen fallen dort keine Bomben mehr, aber die Jungen und Mädchen sind immer noch obdachlos und ohne jeden Beistand. Ein Messer, ein Stein oder eine Schusswaffe, wenn sie das Glück haben und eine in die Hände bekommen, ist für sie die einzige Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen.« Dana schloss einen Moment lang die Augen und atmete tief durch. »Diese Kinder sind fürs Leben gezeichnet. Auch Kemal hat Wunden davon getragen, aber er ist ein anständiger Junge. Er muss nur begreifen, dass er hier in Sicherheit ist. Dass ihn hier keine Feinde bedrohen. Ich verspreche Ihnen, dass er so etwas nie wieder tun wird.«
    Danach herrschte eine ganze Zeit lang Stille. »Wenn ich jemals rechtlichen Beistand brauchen sollte«, sagte Thomas Henry schließlich, »möchte ich, dass Sie mich verteidigen.«
    Dana rang sich ein erleichtertes Lächeln ab. »Ich verspreche es.«
    Thomas Henry seufzte. »Na schön. Sprechen Sie mit Kemal. Wenn so was noch mal vorkommt, muss ich leider –«
    »Ich rede mit ihm. Vielen Dank, Mr. Henry.«
    Kemal wartete draußen auf dem Flur.
    »Los, wir fahren nach Hause«, sagte Dana schroff.
    »Haben die mein Messer behalten?«
    Sie ging nicht darauf ein.
    »Tut mir Leid, dass ich dir das eingebrockt habe, Dana«, sagte Kemal auf der Heimfahrt.
    »Ach, nicht so schlimm. Immerhin bist du nicht von der Schule geflogen. Schau, Kemal –«
    »Okay. Kein Messer mehr.«
    »Ich muss wieder ins Studio«, sagte Dana, als sie in der Wohnung waren. »Der Sitter kommt jeden Moment. Und heute Abend müssen wir zwei mal ein ernstes Wort miteinander reden.«
    Als die Abendnachrichten vorüber waren, wandte sich Jeff an Dana. »Du wirkst so bedrückt, Liebes.«
    »Bin ich auch. Es geht um Kemal. Ich weiß nicht, was ich mit ihm machen soll, Jeff. Ich musste heute mit seinem Rektor sprechen, und außerdem haben schon wieder zwei Haushaltshilfen wegen ihm gekündigt.«
    »Er ist ein klasse Kerl«, sagte Jeff. »Er braucht bloß ein bisschen Zeit zum Eingewöhnen.«
    »Mag sein. Jeff?«
    »Ja?«
    »Hoffentlich habe ich nicht einen schweren Fehler gemacht, als ich ihn hergebracht habe.«
    Kemal wartete bereits, als Dana in ihre Wohnung zurückkehrte.
    »Setz dich«, sagte sie. »Wir müssen miteinander reden. Du musst allmählich lernen, dich an die Regeln zu halten, und vor allem müssen diese ewigen Prügeleien aufhören. Ich weiß, dass es dir die anderen Jungs schwer machen, aber du musst dich irgendwie mit ihnen einigen. Wenn du dich weiter mit ihnen herumprügelst, wird dich Mr. Henry von der Schule verweisen.«
    »Mir doch wurscht.«
    »Das
darf
dir aber nicht gleichgültig sein. Ich möchte, dass du es zu etwas bringst, und ohne Ausbildung geht das nicht. Mr. Henry sieht es dir noch einmal nach, aber –«
    »Scheiß drauf.«
    »Kemal!« Ohne nachzudenken, versetzte ihm Dana eine Ohrfeige. Sie bereute es auf der Stelle. Kemal starrte sie mit ungläubiger Miene an, stand auf, rannte ins Arbeitszimmer und knallte die Tür zu.
    Das Telefon klingelte. Dana nahm ab. Es war Jeff. »Dana –«
    »Liebling, ich – ich kann jetzt nicht mit dir reden. Ich bin zu verstört.«
    »Was ist passiert?«
    »Es geht um Kemal. Er benimmt sich unmöglich!«
    »Dana...«
    »Ja?«
    »Versetz dich in seine Lage.«
    »Was?«
    »Denk drüber nach. Tut mir Leid, ich habe gleich Redaktionsschluss. Ich liebe dich, und über alles Weitere reden wir später.«
    Versetz dich in seine Lage? Das ist doch Unsinn,
dachte Dana.
Woher soll ich wissen, wie Kemal zu Mute ist? Ich bin kein zwölfjähriges Waisenkind, das im Krieg einen Arm verloren hat, ich habe nicht das Gleiche durchgemacht wie er.
Dana saß eine ganze Zeit lang da und dachte nach.
Versetz dich in seine Lage.
Sie stand

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