Wenigstens für eine Nacht
und nebenbei konsequent das stetige Klingeln meines Handys ignoriere. Wie ich losfahre und durch die Straßen zu mir nach Hause lenke. Und dabei stelle ich mir die Frage, warum ich jetzt nicht die Möglichkeit nutze, die mir in letzter Zeit sooft so verlockend vorkam. Ich habe ein Auto, die Stimmung wäre perfekt, ich könnte dem allen einfach so ein Ende setzen. Doch ich tue es nicht. Irgendetwas hält mich hier. Wo es mir schlecht geht. Also sehe ich nur teilnahmslos zu, wie ich vor meiner Adresse ankomme, aus dem Auto steige und die Treppen zu meiner Wohnung bezwinge. Bevor ich mich erschöpft auf die Couch sinken lasse und wieder ich selbst bin.
Mein Telefon hat es inzwischen aufgegeben permanent zu klingeln und ich bin wirklich dankbar darüber, dass Sebastian scheinbar doch nicht so hartnäckig ist, wie ich es mir vielleicht insgeheim sogar gewünscht hatte. Denn auch ohne nachsehen zu müssen, weiß ich ganz genau, dass nur er es sein kann, der mich immer wieder angerufen und es jetzt doch aufgegeben hat. Aber was habe ich auch anderes erwartet? Das er mir nachläuft und mich zur Rede stellt? Das er versucht mich zu verstehen, wo ich es selbst nicht kann? Ich habe mit meiner hirnrissigen Aktion wirklich alles kaputt gemacht und mir sogar die allerletzte Möglichkeit vermasselt ihn jemals spüren zu dürfen, wie ich es gerne hätte.
Aber wahrscheinlich ist es so, wie es gelaufen ist, sogar besser für ihn. Zumindest muss er sich keine Vorhaltungen machen, weil er sich vollkommen korrekt verhalten hat. Es ist vielleicht das Beste, wenn er mich jetzt für einen eiskalten berechnenden Kerl hält, der ihn einfach nur ins Bett kriegen wollte. Das wird es für ihn leichter machen mich zu vergessen. Wenn er das nicht bereits schon hat. Allein der Gedanke treibt mir weiterhin Tränen in die Augen, von denen ich nicht mal ahnte eine dermaßen anhaltende Menge aufbringen zu können und wische sie energisch mit dem Handrücken von meinen Wangen, was jedoch wenig Sinn macht. Aber allein der Versuch, sie so zu verdrängen und ihnen zu deuten, wie unerwünscht sie sind, bereitet mir ein besseres Gefühl.
Leider komme ich jedoch nicht weiter dazu, mich meiner schlechten Laune hinzugeben, da mich ein Klopfen an der Tür aus meinen Gedanken holt. Es klingt eindeutig nach meiner Nachbarin, Frau Wegener, und auch wenn ich eigentlich niemanden sehen will, bin ich der netten alten Dame zumindest schuldig nachzusehen was sie möchte. Da sie mir gestern schließlich auch geholfen hat und nicht einfach so ohne Grund an meiner Tür klopft. Also rufe ich kurz „komme schon“ in den Flur, während ich mich bemühe, die plötzlich gestoppte Tränenspur flüchtig zu beseitigen, indem ich mit meinen Fingern die verlaufene Schminke auffange und an den Seiten meines Rollis abwische.
„Hallo Frau Wegener“, begrüße ich meine Nachbarin, nachdem ich die Tür einen Spalt breit geöffnet habe und versuche ihr sogar ein Lächeln zu schenken.
„Ach mein Junge, so schlimm?“, sieht sie mich direkt mitleidig an und lässt die Tränen schon wieder verdächtig in meinen Augen ansteigen.
„Ich wollte dich nur um etwas Zucker bitten, wenn du so lieb wärst“, lächelt sie mich aufmunternd an und hält mir mit ihrer wackeligen Hand eine alte Porzellantasse entgegen.
„Natürlich“, flüstere ich und nehme ihr die Tasse ab, um damit in die Küche zu gehen. Logischerweise drängt sich mir automatisch die Frage auf, was Frau Wegener um diese Uhrzeit noch mit Zucker anstellen will, und verbanne die Überlegung doch wieder, weil es mich ja überhaupt nichts angeht. Also gehe ich zurück in den Flur und reiche meiner Nachbarin ihre Tasse zurück, wofür sie sich überschwänglich bedankt, ehe sie sich abwendet, um in ihrer Wohnung zu verschwinden. Was ich ihr gleichtue. Jedoch durch einen Widerstand in der Tür aufgehalten werde.
Überrascht blicke ich mich um und weiche automatisch einen Schritt zurück. Sebastians Fuß hat die Tür aufgehalten bevor sie ins Schloss fallen konnte und verschafft sich gerade Zutritt zu meiner Wohnung, ohne das ich etwas dagegen tun könnte. Ich gehe einfach nur weiter rückwärts, bis ich mit dem Rücken an den Türrahmen zum Wohnzimmer stoße. Zeitgleich schließt sich hinter Sebastian die Wohnungstür und sperrt mich mit ihm zusammen hier drin ein. Ich bin gefangen in meiner eigenen Wohnung und spüre eine gewisse Angst in mir aufsteigen, weil ich Sebastian im Moment überhaupt nicht einschätzen kann.
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