Wenn Das Leben Dir Eine Zitrone Gibt, Frag Nach Salz Und Tequila
Ich überlegte kurz, ob ich nach dem Hering fragen sollte, aber irgendwie schien mir das von vornherein zum Scheitern verurteilt. Außerdem fiel mir ein, dass ich zu Hause noch ein ganzes Glas im Kühlschrank hatte.
»Frau Kraus, ich möchte nicht drängeln, ich hab gleich noch einen Termin, nur noch diese eine Frage, bitte …«, meldete sich mitten in meinen Gedanken die Reporterin. Ach richtig, ich hatte hier ja zu tun! Allerdings war mir schon wieder die genaue Frage entfallen – Alzheimer konnte nicht schlimmer sein. Noch mal nachhaken? Peinlich! Was machte das denn für einen Eindruck, ich war doch sonst nicht so unkonzentriert. Ich zwang mich, nachzudenken. Keine Baby-Frage, so viel war sicher, das hatte ich mir gemerkt! In meinen Gehirnwindungen hallten noch deutlich die Worte »Film drehen«, »Mann« und »hypothetisch« wider. Richtig, so musste es sein: Sie wollte wissen, mit welchem Hollywoodstar ich gerne eine Liebesszene drehen würde!
»Also, hmm, ich hätte nichts dagegen, mich als Bond-Girl mit Jude Law an einem Karibikstrand zu rekeln …« Und ich fügte augenzwinkernd hinzu: »... allerdings erst, nachdem er mir ein ordentliches Stück Sachertorte besorgt hat!«
Hmmm, das war wirklich keine üble Vorstellung. Das war auch ein Nebenaspekt der Schwangerschaft, mit dem ich nicht gerechnet hatte: diese plötzlichen Hormonschübe, die mich aus dem Nichts nicht nur an interessante Nahrungsmittelkombinationen, sondern vor allem an das Eine denken ließen – was die Evolution sich dabei wohl gedacht hatte? Sollten die bronzezeitlichen Schwangeren schon mal nach Ersatzpapis Ausschau halten, falls das Original vom Mammut überrannt wurde?
Ich überlegte kurz: »... nein, vielleicht doch besser mit Keanu Reeves!«
Dann hatte ich’s plötzlich: »Johnny Depp! Schreiben Sie Johnny Depp ! Vergessen Sie Jude Law und den anderen … äh …«
Die Journalistin hatte eine Augenbraue hochgezogen und sah mich nachdenklich an. »Wirklich? Das wäre es?«, fragte sie und schabte mit dem Kaffeelöffel die Milchschaumreste aus ihrer Cappuccino-Tasse. Das machte mich ganz nervös. Typisch: Erst fragt sie mich so was, und dann ist sie mit der Antwort nicht zufrieden. Überhaupt, was war das für eine Frage an eine Hochschwangere? Liebesszenen am Strand! Wollte sie einen Keil zwischen meinen Freund und mich treiben, um mich demnächst zum Thema »Das Leben einer Single-Mami« interviewen zu können? Oder mir unterstellen, ich würde mich jedem an den Hals werfen, nur weil er ein Hollywood-Star ist? Und das in meinem Zustand! Und dann wurde mir vermutlich das Wort im Mund umgedreht – morgen las ich bestimmt in der Zeitung:
Sonya Kraus sexbesessen! Selbst im neunten Monat treibt sie es noch in der Karibik.
Ich fügte hinzu: »Das war jetzt wirklich nur ganz theoretisch! Ich will nicht wirklich was von, äh …?«
Für wen hatte ich mich gerade noch entschieden? Egal! Ich deutete vielsagend auf meinen Bauch. Dann hatte ich eine spontane Eingebung. Und die riet mir, auf Nummer sicher zu gehen. Etwas kleinlaut erkundigte ich mich: »Aber vielleicht hab ich ja was missverstanden. Wie lautete die Frage noch mal genau, bitte?«
Die Journalistin seufzte und sagte in einem Tonfall, wie Günther Jauch ihn bei »Wer wird Millionär?« an den Tag legt, wenn ein Kandidat schon bei der Frage: Was ist kein Obst: a)Banane, b)Brokkoli, c) Apfel oder d) Kiwi, den Joker anrufen muss. Sie sagte: »Die Frage war: Wäre dies der letzte Tag Ihres Lebens – würden Sie bereuen, dass Sie irgendeinen Traum nicht verwirklicht haben?«
Das war natürlich etwas ganz anderes! Warum hatte sie das nicht gleich gesagt? Da musste ich nicht lange überlegen. »Nö, da gibt’s nix.«
»Gar nichts? Nicht irgendwas, was Sie dringend noch machen wollen?«
Und ich sagte: »Nein, tut mir leid! Alles, was ich wirklich machen will, mache ich auch. Und der große Traum, den ich jetzt augenblicklich verwirklichen muss, dreht sich um die nächste Damentoilette. Verzeihung, ich …« Und schon flog ich in Richtung WC. Als ich zurück zu unserem Tisch kam, war die Reporterin schon weg. Unter dem Salzstreuer lag ein Zettel: »Vielen Dank! Ich schreib dann ›Johnny‹!«
Warum ich Ihnen diese hochnotpeinliche Geschichte erzähle? Nun, als ich obiges Interview gab, war dieses Buch bereits beschlossene Sache. Nicht nur das: Ein Großteil war sogar schon geschrieben. Trotzdem haderte ich immer noch. Wollte die Welt wirklich ausgerechnet von mir
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