Wenn der Wind dich ruft
geworden ist.« Sie seufzte, und in ihren herrlichen Smaragdaugen flackerte so etwas wie Trauer auf. »Inzwischen ist sie natürlich längst gestorben.«
Portia stählte sich innerlich gegen das Mitleid, das in ihr wach wurde, denn sie wusste, sie konnte es sich nicht leisten. »Wenn Sie selbst einmal Mutter waren, dann müssen Sie doch noch wissen, wie es ist, sich um sein Kind zu sorgen. Meine Schwester ängstigt sich fast zu Tode. Jetzt, in diesem Moment, ist ihr Leben ein Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt.« Sie setzte einen Fuß auf die unterste Stufe, brachte sich einen Schritt näher zu Eloisa. »Wenn es auch nur ein Restchen Menschlichkeit in Ihnen gibt, einen Funken Mitgefühl, dann geben Sie mir bitte die Kleine und lassen Sie sie von mir zu ihrer Mutter zurückbringen.«
»Ich wünschte, ich könnte das«, antwortete Valentine mit einem bedauernden Seufzer. »Besonders weil du so lieb gefragt hast. Aber ich fürchte, deine Schwester wird sich wohl weiter ängstigen müssen. Wenigstens so lange, bis Julian wieder bei mir ist.«
»Das ist das Eine, was ich Ihnen nicht geben kann! Ich weiß ja nicht einmal selbst, wo er ist.«
»Oh, aber er kann doch bestimmt nicht so schnell deiner müde geworden sein, oder? Hast du vergessen, dass ich genau weiß, wie unersättlich sein sexueller Appetit sein kann? Himmel, das erste Mal, als wir zusammen waren, verging eine ganze Woche, ehe er mich überhaupt aus seinem Bett gelassen hat.«
Portias Magen verkrampfte sich schmerzlich, während sie verzweifelt versuchte, sich nicht vorzustellen, wie Julian mit Valentine genau die zärtlichen und wilden Dinge anstellte wie mit ihr letzte Nacht.
»Warum sollte er dich verlassen, wo du ihm doch die eine Sache geben kannst, die ich nie zu vergeben hätte: deine Liebe ?«
Von Valentines Lippen klang das Wort wie ein Fluch. Eloisa begann sich in ihren Armen zu regen, und auf ihrer Stirn bildete sich eine Falte.
»Wie kann ich erwarten, dass Sie die Liebe einer Mutter für ihr Kind oder die Liebe einer Frau zu einem Mann begreifen?«, wollte Portia wissen und trat einen Schritt näher. »Alles, was Sie begreifen können, ist Gier und Hunger und Wollust und Gewalt. Liebe braucht Geduld und Zärtlichkeit und die Bereitschaft, sich selbst zu opfern für etwas Größeres.«
»Liebe führt zu nichts als Schwäche! Es verwandelt einen in ein Objekt des Mitleids und gibt einen der Lächerlichkeit preis — ein jammerndes, pathetisches Etwas, das nicht mehr das Leben verdient als ein Wurm, der sich nach einem heftigen Sommerregen auf der Straße windet.«
Portia schüttelte den Kopf. »Das ist keine Liebe. Das ist Besessenheit. Wahre Liebe macht nicht schwach. Sie macht stark, gibt den Mut und die Kraft, selbst die einsamsten Nächte zu überstehen.« Eloisas Lider zuckten. Portia wagte einen weiteren Schritt. »Ich habe immer geglaubt, dass sich zu verlieben bedeuten würde, von einem gut aussehenden Märchenprinzen im Sturm erobert zu werden, der einen nie verlässt. Aber jetzt weiß ich, dass der Prinz einen so sehr lieben kann, dass er das Gefühl hat, ihm bliebe keine andere Wahl, als zu gehen.«
Die Stimme eines Mannes ertönte hinter ihr, unterlegt mit lässigem Applaus. »Bravo! Ich habe keine so rührende Vorstellung mehr gesehen, seit man Sarah Siddons dazu überreden konnte, ein letztes Mal aus ihrem Ruhestand auf die Bühne in Drury Lane zurückzukehren.«
Ehe Portia sich umdrehen konnte, öffnete die kleine Eloisa ihre Augen, streckte ihre molligen kleinen Ärmchen aus und rief schmeichelnd: »Onkel Luja! Onkel Luja!«
20
Langsam wandte sich Portia zu den französischen Fenstern am anderen Ende des Saales um. Er war ganz in Schwarz gekleidet: ein schwarzes Hemd mit elegant fallenden Kaskaden mitternachtsschwarzer Spitze an Kragen und Manschetten und schwarze Hosen, die unter dem Knie in schwarzen Lederstiefeln endeten. Er hatte nie mehr wie ein Prinz der Nacht ausgesehen.
»Hätte ich gewusst, dass Miss Cabot vorhatte, eine ihrer leidenschaftlichen Erklärungen über die Natur wahrer Liebe abzugeben, hätte ich mir ein extra Taschentuch eingesteckt«, sagte er und musterte sie kühl, fast verächtlich, sein Blick so scharf wie eine schöne, aber tödliche Klinge.
Ehe Portia entscheiden konnte, wie viel Schaden er damit ihrem Herzen zugefügt hatte, stieß Valentine ein bitteres Lächeln aus. »Ich wusste, wenn sie hier wäre, würdest du nicht weit sein. Es ist ziemlich ermüdend, wie du ihr
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