Wenn Die Nacht Beginnt
gelassen hatte.
Gegen fünf Uhr wollte ich gerade aus dem Haus, um mir ein Abendessen zu besorgen, als Stinger vorbeikam. Ich blieb stehen, trat an seinen Pickup heran und redete mit ihm. Auf der anderen Straßenseite hantierten Männer mit Blechstücken für ein neues Dach. Die Sonne leuchtete grau und scharf durch die Wolken, und die Helligkeit, die sie abstrahlte, fiel in einer Weise auf Stingers Gesicht, dass es ihn wirklich hart und gemein aussehen ließ. »Den kriegen wir noch«, sagte er.
»Welchen? Wir haben keine Ahnung …«
»Von wegen keine Ahnung.«
Ich sagte: »Es könnte Grundfest sein, klar. Er hat mehrere Überfälle in seinem Vorstrafenregister. Es könnte aber auch ein großer Fisch wie Wooley sein. Oder es könnte ein kleiner Gauner wie derjenige sein, der den Jungen in die Schulter gestochen hat. Wie kriegst du raus, welcher es ist?«
»'n junger Bruder is' hin, Cisroe. Hätte Gutes tun können in dieser Welt.«
»Ich weiß. Aber es gibt Möglichkeiten, damit umzugehen.«
»Klar.«
»Legale Möglichkeiten.«
»Quatsch«, sagte er und kurbelte heftig das Fenster auf der anderen Seite hinunter, bis die Scheibe tief genug war, dass er spucken konnte. Dann zog er einen weißen Socken aus der Tasche und wischte sich damit den Mund ab. »Wer wird es Minnie Chaundelle sagen? Du?«
Nach dem Abendessen fuhren wir zu Minnie. Eine Frau namens Ardath Mae war dort. Sie hatte Silber im Haar und ein so frommes Aussehen, das Stinger plötzlich ganz schüchtern machte. Ardath Mae sagte, Minnie sei mit einer anderen Freundin weggegangen, um Verlyns Beerdigung zu regeln. »Dieses Mädel ist vollkommen fertig«, sagte Ardath Mae. »Keine Ahnung, wie sie das verkraften wird.«
Ich fragte, ob es in Ordnung sei, wenn ich in Minnies Schlafzimmer nach etwas suchte, was Verlyn vielleicht dort gelassen hat. Ardath sah Stinger an, bevor sie mir zunickte. Als ich weiterging, hörte ich sie sagen: »Was hast du so getrieben, Mista G.? Lange her, stimmt's?«
Minnies Zimmer war voller Bilderrahmen und Vasen, die mit Perlen und Nuss-Schalen beklebt waren, und noch mehr hingen in Strängen vor dem Kleiderschrank, wie etwas aus der Hippie-Zeit. Ich brauchte eine ganze Minute, um Verlyns Heft unter einer Schuhschachtel auf dem Zwischenboden im Schrank zu finden. Als ich zurückkam, standen Stinger und Ardath Mae relativ nahe beieinander. Ich zeigte ihr, was ich mitnehmen wollte, und bat sie, es Minnie zu sagen. Sie runzelte die Stirn, aber war dann doch einverstanden, und dann sah ich, wie sie Stingers Hand losließ, die hinter einer Falte ihres Rocks versteckt war.
Zurück in meiner Wohnung, stellte ich eine Flasche Johnny Walker Black auf den Tisch, holte Gläser und Eiswürfel, ein paar Peperoni und Brezeln, und las Stinger die Liste von Leuten vor, die in die Mitchell Mining and Drilling Corporation investiert hatten. Er nickte bei jedem Namen, schlürfte seinen Whiskey und ließ ihren Klang vorbeiziehen, während seine Augenlider halb geschlossen waren. Es waren elf Namen aufgeführt, mit Summen von einer Viertelmillion bis zu einer Zahl mit ganzen acht Nullen. Als ich zum neunten Namen kam, gingen Stingers Augen auf. »Lies mir den noch mal vor«, sagte er.
Houston ist reich an Gentlemen's Clubs – ›Centerfolds‹ und ›Baby Dolls‹, ›La Nude‹ und ›Peter's Wildlife‹; ›Rick's‹ und ein Dutzend weitere. Der eine, zu dem wir fuhren, den musste man kennen. Es war ein mit Stuck verzierter Sandsteinkasten mit sanft beleuchteten Torbögen und von zwei Palmen eingerahmt, aber ohne Schild draußen. Ich kannte den Club aus Zeiten, in denen er ein Schild hatte, und erinnerte mich daran, als Stinger sagte, ich solle ihm den Namen noch mal vorlesen – Barsekian's Lounge.
Wir fanden ganz hinten am Parkplatz eine Lücke, wo wir das Auto stehen lassen konnten. In den Schatten auf der Seite saß ein Schwarzer Sheriff so unbeweglich, als ob er aus Karton wäre, in seinem Golf-Cart, und die weißen Waffeln seiner Brille machten ihn zu einer Karikatur.
Drinnen fragte ich einen Mann mit gebleichten Haaren und einem Gesicht wie ein abgebröckelter Betonblock nach Mr. Barsekian. Er musterte uns zwei Mal von oben bis unten, fragte nach unseren Namen und ging dann durch die Menge weg.
Armen Barsekian war früher einer der größten Buchmacher an der Third Coast, aber auf Geheiß des FBI hatte er sich zur Ruhe gesetzt. Vielleicht versuchte er jetzt, legale Geschäfte zu machen und mit den Spekulanten über die
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