Wenn die Nacht dich kuesst...
Vorschläge machte, wie sie ihr Haar frisieren sollte. Und kein Wunder, dass ihn die Gesellschaft für einen Vampir hielt. Das war ein Ruf, den er offenbar ebenso sorgfältig pflegte wie die en cascade arrangierten Falten seines Halstuches oder seine glänzenden Wellington-Stiefel. Ein derart affektierter Dandy mochte ihrer Schwester das Herz stehlen können, ihrer Seele jedoch drohte augenscheinlich keine ernsthafte Gefahr.
Vor Belustigung und Erleichterung schwindelte ihr gleichermaßen. Caroline kämpfte immer noch mit ihrer Heiterkeit, als irgendwo im Haus eine Uhr Mitternacht schlug.
»Verzeihen Sie.«
Caroline zuckte erschreckt zusammen, als ihr ein Taschentuch unter die Nase gehalten wurde.
»Ich versuche, stets vorbereitet zu sein. Es ist kaum das erste Mal, dass sein Auftritt eine Dame zu Tränen gerührt hat. Die empfindsameren Damen fallen sogar manchmal in Ohnmacht.«
Die belustigte Männerstimme, kaum lauter als ein Brummen, ging ihr durch und durch. Wie hatte sie nur so närrisch sein können, sich wegen Vampiren Sorgen zu machen, wenn eine so rauchige, verführerische Stimme doch nur dem Teufel persönlich gehören konnte?
Sie nahm vorsichtig das angebotene Taschentuch, ehe sie unter gesenkten Lidern dem Mann einen Blick zuwarf, der neben ihr lässig an der Wand lehnte. Er schien aus dem Nichts aufgetaucht zu sein, musste aber durch das französische Fenster gekommen sein, als sie abgelenkt gewesen war. Auch dann war es keine leichte Aufgabe für einen so groß gewachsenen Mann.
Obwohl sie hätte schwören können, dass sie seinen Blick noch vor einer Sekunde auf sich ruhen gespürt hatte, schaute er jetzt zum Kamin, wo ihr Gastgeber eine weitere Strophe von Byrons Meisterwerk vortrug.
»Ihre Ritterlichkeit ehrt Sie, Sir«, erwiderte sie leise und betupfte ihre überlaufenden Augen mit dem erlesenen Leinen. »Aber ich kann Ihnen versichern, es besteht keine Gefahr, dass ich von meinen Gefühlen überwältigt und in Ihren Armen ohnmächtig werde.«
»Schade«, bemerkte er, weiter geradeaus schauend. Überrascht entfuhr es Caroline: »Wie bitte?«
»Hübsche Ballade«, sagte er und nickte zu dem jungen Mann.
Mit zusammengekniffenen Augen nutzte Caroline den Umstand schamlos aus, dass seine ganze Aufmerksamkeit dem Geschehen am Kamin galt, und musterte ihn. Sein dichtes Haar war von einem dunklen Honigblond, durchzogen von helleren goldenen Strähnen und gerade lang genug, um seine beeindruckenden Schultern in dem rostroten Rock zu berühren. Stünde er aufrecht, statt mit überkreuzten Knöcheln und verschränkten Armen an der Wand zu lehnen, würde er sie um mehr als einen Kopf überragen. Trotzdem schien er sich völlig wohl zu fühlen mit seiner Größe, schien es nicht für nötig zu befinden, sie dazu einzusetzen, andere einzuschüchtern oder seinem Willen zu beugen.
»Was ich sagen wollte, Sir«, flüsterte sie, obwohl sie nicht ganz begriff, warum es ihr so wichtig war, dass dieser Fremde sie nicht für ein rührseliges Dummerchen hielt, »war, dass ich nicht von meinen Gefühlen überwältigt war, sondern von Erheiterung.«
Er warf ihr unter seinen dichten Wimpern einen unergründlichen Blick zu. Seine Augen waren weder grün noch blau, sondern ein fesselnder Farbton dazwischen. »Sie sind also keine von Byrons Bewunderinnen?«
»Oh, es ist nicht der Dichter, der mich amüsiert, sondern der junge Herr, der seine Verse vorträgt. Haben Sie jemals schon ein so unverhohlenes Posieren gesehen?«
Eine der Frauen vor ihnen drehte sich um, schaute Caroline böse an und legte sich einen Finger auf die Lippen, zischte: »Pst!«
Während Caroline sich um eine angemessen betretene Miene bemühte, erklärte der Mann neben ihr mit gesenkter Stimme: »Sie scheinen die einzige Frau im Zimmer zu sein, die seinem Charme gegenüber immun ist.«
Dem war zweifelsfrei so. Portia starrte immer noch wie in Trance zum Kamin. Mehrere der anwesenden Damen hatten ihre Taschentücher gezückt und betupften sich die Augen. Selbst einige Herren verfolgten die Vorstellung mit offenem Mund und glasigem Blick.
Caroline verkniff sich ein Lächeln. »Vielleicht hat er sie mit seinen übernatürlichen Kräften verhext. Sagt man das nicht Wesen seiner Art nach — die Fähigkeit, Menschen mit schwachem Geist zu hypnotisieren und ihrem Willen zu unterwerfen?«
Jetzt drehte sich der Mann zu ihr um und schaute sie an. Seine Züge konnten wirklich nicht als jungenhaft bezeichnet werden, das verhinderten die gerunzelte
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