Wenn Du Luegst
welche nicht - nun, man kann nie wissen. Lassen Sie uns einfach den ersten Schritt machen, damit es eine glaubwürdige Drohung für Daryl wird, um Robert kümmere ich mich dann anschließend.«
»Sie kennen Robert?«
»Ich kenne Robert«, sagte sie mit dem Anflug eines Lächelns. Ich schätze, sie kannte Robert wirklich gut.
»Ich will Sie nicht enttäuschen«, erwiderte ich, »aber auch ich verschieße nicht oft krumme Pfeile.«
»Stellen Sie sich vor, Sie sind siebenundachtzig Jahre alt und liegen im Sterben«, sagte sie. »Was wird Ihnen mehr leidtun, wenn Sie zurückblicken - ein Auge zugedrückt und mir die Chance gegeben zu haben, Leroy Collins ins Gefängnis zu bringen, oder die nächste Vierjährige, die er umbringt? Oder der nächste fünfundfünfzigjährige Lebensmittelhändler? Oder die nächste Freundin, die versucht, ihn zu verlassen? Sie finden die Details in den Akten. Da ist noch jede Menge mehr. Genug, um mich bei Gott schwören zu lassen, dass, sollten Sie mir nicht helfen, ich Ihnen die Zeitungsausschnitte sämtlicher Morde zuschicken werde, die er in den nächsten zehn Jahren begeht.« Sie hatte sich beim Sprechen nach vorn gebeugt, und ihre Pupillen waren klein und hart. Jetzt lehnte sie sich zurück und sagte leise: »Stellen Sie sich auf eine Postlawine ein.«
Ich seufzte. »Lassen Sie mich die Akten lesen.«
Ich hatte nur um die Berichte über den Mord an Sissy Harper und über Daryl Collins gebeten, aber Pat hatte mir die Akten über Leroy ebenfalls dagelassen. Neugierig vertiefte ich mich zuerst in sie. Am Nachmittag hatte ich sie noch nicht einmal zur Hälfte durch. Ich rief Betsy an und warnte sie, dass ich wahrscheinlich noch einen Tag länger weg sein würde. Leroy war tatsächlich ein übler Mistkerl. Genauso abgebrüht wie Daryl, nur schlauer und ehrgeiziger. Er dachte mehr voraus. Hätte Leroy im Gefängnis seine Therapeutin vergewaltigt, hätte er vermutlich eine multiple Persönlichkeit vorgetäuscht und wäre damit durchgekommen. Daryl hatte eine sehr direkte Herangehensweise, aber Leroy flüsterte
dir über die Schulter, wenn du deine Tür aufsperrtest. »Vom Haus zum Auto. Vom Auto zum Haus«, hatte er zu einer potenziellen Zeugin gesagt. »Du hast keine Ahnung, wie verletzlich du bist.« Für sie ging die Sache glimpflich aus - sie zog ihre Aussage zurück und lebte weiter. Trotzdem fragte ich mich, über wie viele Jahre sie wohl jedes Mal, wenn sie aus dem Auto stieg, an diesen Satz gedacht hatte.
Wenn also nie jemand gegen die beiden ausgesagt hatte, wieso war Daryl dann aus Dallas weggegangen? Möglicherweise wehte wegen des Sissy-Harper-Falls ein scharfer Wind, aber schließlich waren er und Leroy jedes andere Mal durch die Maschen geschlüpft. Worüber machte er sich also Sorgen? Wusste irgendjemand etwas, jemand, an den Daryl nicht herankam? Selbst wenn das stimmte, wo war dann die Verbindung zu Seattle?
Gerade, als ich die Unterlagen weglegte, kam Pat Humphrey wieder herein. Ich sah automatisch auf meine Uhr. Ich hatte so lange gelesen, dass ich dachte, der Tag müsste längst vorüber sein, aber es war erst vier. »Wir haben Mr Collins hier«, sagte sie. »Wir haben ihn herbestellt, um über Sissy zu sprechen. Ich dachte, vielleicht möchten Sie sich die Vernehmung ansehen.«
»Er ist freiwillig zum Verhör gekommen?«, fragte ich überrascht. »Er wird mit Ihnen reden?«
»Aber ja«, erwiderte sie. »Er redet immer mit uns. Ich glaube, er genießt es, Spielchen mit uns zu spielen. Und ehrlich gesagt, warum auch nicht? Es hat ihm noch nie geschadet. Er verliert weder die Fassung noch sagt er etwas, das er nicht sagen will.«
Ich folgte ihr den Gang entlang und die Treppe ins
darunterliegende Stockwerk im rückwärtigen Teil des Gebäudes hinunter, wo die Räume zur Befragung Verdächtiger lagen. Wenigstens hatten sich die Vernehmungszimmer über die Jahre nicht verändert. In diesem hier gab es einen Tisch, zwei Stühle und sonst nichts. Entlang einer Wand befand sich ein Einwegspiegel, und ich wusste, dass es ein unsichtbares Videosystem gab, um die Gespräche aufzuzeichnen. Der Stuhl, auf dem der Verdächtige saß, war vorn etwas niedriger. Es gehört zu den klassischen Polizeitechniken, die vorderen Stuhlbeine ein wenig abzusägen, damit der Verdächtige sich nicht entspannen kann und immer leicht nach vorn gebeugt sitzt.
Ich sah durch das Fenster. »Er ist schwarz«, stellte ich überrascht fest.
»Und?«, fragte sie.
»Daryl ist weiß - sie sind
Weitere Kostenlose Bücher