Rettungskreuzer Ikarus Band 036 - Schlacht um Vortex Outpost
1.
Melody kontrollierte erneut die Position des kleinen Raumfahrzeugs. Noch immer
waren die Ränder der Simulation vor ihren Augen unscharf und zeigten einen
rötlichen Schimmer, noch immer war sie nicht genau auf Kurs. Sie spürte
einen Anflug von Ungeduld und nahm sich einige kostbare Augenblicke, um ruhig
einzuatmen und wieder an den Ort absoluter Ruhe zu sinken, den sie in den langen
Jahren in sich gefunden und wie eine Heimstatt ausgebaut hatte. Alles, was sie
tat, konnte sie nur von diesem Punkt aus machen. Jede Spur von Verärgerung,
von Angst oder Zweifel konnte der Beginn eines Fehlers sein – und sie konnten
sich nichts leisten, was weniger als perfekt war.
Nach einem kurzen Moment richtete Melody ihre Aufmerksamkeit wieder auf die
Steuerdüsen des kleinen Raumers und gab winzige Impulse, die den Körper
in eine kaum merkliche Drehung versetzten. Als hätte sie alle Zeit der
Welt, richtete sie ihn um Bruchteile von Millimetern aus, bis endlich seine
Konturen auf der Simulation scharf wurden und in einem hellen Grün zu leuchten
begannen. Melody hatte gelernt, das Erscheinen des grünen Lichtes mit einem
schmalen Lächeln und einem unmerklichen Aufatmen zu begrüßen.
Wenn sie es bemerkte, war sie belustigt – so hatte dieser Krieg aus ihr
etwas wie einen kleinen, dressierten Hund gemacht, der auf ein Lob mit einem
Schwanzwedeln antwortete. Sie hätte diesen Vergleich niemals gegenüber
Ohboy erwähnt; er hätte einfach zu viel Vergnügen daran gehabt,
den Gedanken auszuspinnen und nicht zuletzt auf sich zu übertragen. Und
sie konnte in diesen Zeiten, in denen ihre Konzentration niemals nachlassen
durfte, keine Meldung brauchen, dass Ohboy gerade vergnügt am Wedeln war.
»Scheint so, als bräuchte ich ihn gar nicht mehr für so einen
Gedanken«, murmelte Melody und konnte sich ein kurzes Grinsen nicht verkneifen.
Ohboy hatte in den letzten Monaten auf sie abgefärbt – leider war
der Einfluss einseitig gewesen. Ein rascher Blick auf die Umgebungskontrollen
zeigte ihr, dass der zweite Raumer neben ihrem sich energetisch drehte, über
seinen Zielpunkt hinauswirbelte, hart durch die Steuerdüsen abgebremst
und genauso schwungvoll wieder auf Kurs gebracht wurde. Melody beobachtete das
Manöver mit einem Stirnrunzeln. Wie auch immer er es schaffte, sogar mit
diesem betrunkenen Tanz brachte Ohboy seine Fahrzeuge in die perfekte Ausrichtung;
nur betrieb er Raubbau an den wenigen Ressourcen des Schiffes.
»Unbelehrbar«, beruhigte sie sich selber, als sie den Drang verspürte,
den Kommlink zu öffnen und Ohboy zu mehr Kontrolle aufzufordern.
Es war Zeit, das Versteck zu verlassen.
Nach einem letzten – und überflüssigen – Blick auf die Kurskontrolle
aktivierte Melody den kleinen Hauptantrieb des Raumers und gab ohne zu Zögern
vollen Schub. Die Feststoffraketen flammten lautlos auf und katapultierten das
Schiff aus dem Ortungsschatten der kleinen Sonne, um die Vortex Outpost kreiste.
Die Treibstoffanzeige sank so schnell, dass Melody zusehen konnte. Innerhalb
von Minuten war sie im roten Bereich, dann gab das Triebwerk einen letzten,
grellen Impuls von sich und erstarb. Ausgebrannt, aber noch immer mit der hohen
Beschleunigung seines heftigen Spurtes, jagte der kleine Raumer jetzt still
und dunkel durch die Leere. Es hatte keine Fehler gegeben, keine Abweichungen
vom angegebenen Kurs. Alles, was sie jetzt noch tun konnte, war warten.
Das Ziel des Schiffes lag weniger weit entfernt, als Melody es sich gewünscht
hätte. Es war, um ein altes Bild zu bemühen, gewissermaßen genau
vor den Toren von Vortex Outpost. Die archaische Vorstellung einer belagerten
Stadt passte gut, und Melody spürte einen kalten Knoten der Furcht in ihrem
Inneren, den sie auch durch ihr langes Training und ihre Disziplin nicht auflösen
konnte.
Die Station, die Melody so lange schon ihr Zuhause nannte, hatte sich auf den
zu erwartenden Angriff so gut vorbereitet, wie es nur ging. Alles, was einmal
dem Handel, dem Vergnügen oder der Bequemlichkeit auf Vortex Outpost gedient
hatte, war verschwunden wie ein schöner Traum, so als hätte es das
Einkaufsviertel, die Verladedocks, die Büros und Restaurants nie gegeben.
Stattdessen war jeder Kubikmeter des großen Metallkörpers mit Dingen
ausgefüllt, die nur zwei Aufgaben hatten: entweder Schaden von den letzten
Bewohnern und der Station abzuwehren, oder so viel
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