Wenn es plötzlich Liebe ist
beiden Kellner.
»Ist ein Gast der Gräfin von Sharone«, unterbrach ihn der Chef ruhig. Die beiden Kellner sahen Smith überrascht an und lächelten ihm dann so freundlich und aufrichtig zu wie Missionare.
Smith lehnte sich zurück und verschränkte die Arme über der Brust. »Es ist mir völlig egal, was Sie mir bringen, solange es nicht von einem Auto überfahren wurde.«
»Selbstverständlich, Mr. Smith.Wird sofort erledigt.« Der Chef verbeugte sich, und die beiden Kellner entfernten sich.
Smith sah wieder zu Grace hinüber.
»Wer ist denn dieser Mann da?«, wollte Grace’ Mutter wissen.
»Wen meinst du, Mutter?«, erwiderte Grace, obwohl sie es genau wusste.
»Der Mann da, neben Edward und den beiden Kellnern. Ich habe ihn noch nie hier gesehen. Er scheint ein Problem zu haben.«
Grace trank einen Schluck Wasser. »Wie war die Fahrt von Newport hierher?«
Ihre Mutter starrte aber weiterhin auf die Gruppe Frackträger um Smith herum, als könnte sie die Störung fortbeschwören. »Gut, gut. Alles in Ordnung.«
»Und wie kommst du zurecht?«
Zu Grace’ Erleichterung wandte ihre Mutter endlich den Blick von Smiths Tisch.
»Mercedes Walker kommt morgen von Boston her. Wir feiern unser Wiedersehen.«
»Jack ist übrigens heute Abend hier.«
»Wirklich?« Diesmal überflogen ihre Blicke den Raum freundlicher. Dann winkte sie Jack zu, der ihr zunickte.
Grace sah kurz in Smiths Richtung und fragte sich, worüber die beiden wohl geredet hatten und um welches Problem es mit den Kellnern gegangen war. Als ihre Blicke sich trafen, wirkten seine Augen so intensiv, dass es sie heiß durchfuhr. Sie runzelte die Stirn. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie seine Intensität für etwas anderes halten als rein berufliche Aufmerksamkeit.
Und das würde sie in noch viel tiefere Wasser führen.
Sie bezahlte ihn, damit er sie beschützte, rief sie sich in Erinnerung. Das war sein Job. Er war nicht von ihrer verführerischen Weiblichkeit überwältigt.
Denn so war sie nicht.
Darin hatte Ranulf Recht gehabt. Leider. Egal, was Grace’ Vorzüge waren, sie gehörte nicht zu den Frauen, die über eine starke sexuelle Ausstrahlung verfügten. So war sie nie gewesen. Und die offensichtliche und offen ausgedrückte Enttäuschung ihres Mannes von ihrem Liebesleben hatte nur bestätigt, wie sie sich immer schon gefühlt hatte.
Sie dachte an den Kuss von Smith. Er war leidenschaftlich gewesen, weil Smith ein leidenschaftlicher Mann war. Seine Reaktion hatte eher mit seinem eigenen Sexualtrieb zu tun als auch nur irgendetwas mit ihr.
»Grace?«
Die schneidende Stimme ihrer Mutter brachte sie in die Wirklichkeit zurück. »Ja?«
»Ich habe dir gerade von meiner geplanten Reise nach Paris erzählt. Ich werde beim Viscomte wohnen …«
Dieses Mal passte Grace scharf auf, als die Mutter ihre Reisepläne bis in die kleinsten Einzelheiten beschrieb. Sie verstummte nur kurz, als der Kellner ihnen die Vorspeisen brachte. Als er Grace einen Teller mit Lachsfilet vorsetzte, verzog sie das Gesicht.
Sie hasste Fisch.
»Das schmeckt dir sicher viel besser als Rinderbraten, Liebling«, bemerkte ihre Mutter, der man einen identischen Teller vorsetzte. »Jetzt erzähl mir von dem Jahresball.«
»Ich glaube, alles läuft sehr gut.« Grace nahm die Gabel in die Hand. Sie log nicht gerne, hatte aber nicht die geringste Neigung, die Wahrheit zu sagen.
»Dein Vater hatte ein solches Talent für diese Dinge. Er hat damals Betsy Ross’ erste Fahne für den Galaball gesichert. Weißt du noch?«
Grace ließ die Geschichte, die sie schon sehr oft gehört hatte, über sich ergehen. Sie gab sich Mühe, in jeder Sprechpause zu nicken, und führte dabei die Gabel zum Mund. Bei jedem Bissen musste sie gegen den Brechreiz ankämpfen.
Ihr Blick ruhte aber nicht lange auf dem wohl erhaltenen Gesicht der Mutter, sondern wanderte durch den Raum, den sie sehr gut kannte. Hier dachte sie immer an ihren Vater. Sie war gerne nur mit ihm allein zum Essen gegangen. Das hatte als eine Geburtstagsüberrschung begonnen, als sie noch klein war. Als Erwachsene hatten sie sich regelmäßig hier getroffen.
Ihr Vater hatte sie immer höchst aufmerksam angeblickt, wenn sie etwas erzählte, und dabei mit dem silbernen Teelöffel auf dem dicken Leinen Linien gezogen. Sie hatte immer noch das raue Kratzen im Ohr. Beim Zuhören bewegte
er den Löffel im Kreis. Wenn er selbst sprach, malte er Quadrate, wobei jedes Argument von einer Ecke markiert wurde.
Das
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