GK0153 - Die Rache der roten Hexe
»Ich höre keine Schreie, Maddalena«, sagte Lucille. »Du wirst dich getäuscht haben.«
»Nein, Lucille, sie werden kommen. Ich kann sie bereits sehen.« Die alte Dienerin warf sich herum und fiel vor der schönen Lucille Latour auf die Knie. Ihre knochigen Hände umklammerten die Waden der Frau. Tränen quollen aus den Augen der Alten und liefen als kleine Rinnsale an den faltigen Wangen hinab.
»Flieh, Lucille!« flehte sie. »Ich bitte dich, flieh. Flieh, solange es noch Zeit ist. Ich habe schon alles gepackt. Das Pferd ist auch vor den Wagen gespannt worden. Es wartet auf dich. Beeile dich, in einer Minute kann es schon zu spät sein.«
»Nein!« Lucille Latours Stimme klang fest. Nicht ein Funken Angst schwang darin mit. Wie ein Denkmal stand die Frau in ihrem prächtig ausgestatteten Schlafraum.
Lucille Latour war eine Schönheit! Das feuerrote Haar floß in weichen Wellen bis auf die nackten Schultern. Der ovale Ausschnitt des spitzenbesetzten Nachtgewandes endete knapp über den marmorfarbenen Brüsten. Weich und fließend war der Stoff des Nachtgewandes, er zeichnete jede Kontur des makellosen Körpers nach.
Die Schönheit dieser Frau war es, die ihr zum Verhängnis werden sollte. Jahrelang hatte Lucille Latour die Männer betört. Sie hatte das Gesicht eines Engels. Weiß wie frisch gefallener Schnee war ihre Haut. Voll und sinnlich die Lippen. Samten fühlte sich der Körper an, der schon von zahlreichen Männerhänden gestreichelt worden war. Und dann die Augen. Das Feuer der Leidenschaft brannte in ihnen. Es weckte die Begierde eines jeden Mannes.
Klar, daß die Ehefrauen der Männer, die Lucille betört hatte, rasend vor Eifersucht waren. Das Wort Hexe machte flüsternd seine Runde. Aber schon bald sprach man es laut und deutlich aus. Doch noch ließ man die rothaarige Frau in Frieden. Zuviel einflußreiche Männer hatten schon in ihrem Bett gelegen.
Schließlich konnten diese Leute sie auch nicht mehr schützen. Nur eine Warnung hatte Lucille bekommen, sie jedoch kaltlächelnd in den Wind geschlagen.
Und jetzt sollte sie geholt werden. Aus dem prächtigen Haus hoch über den Klippen, das sie von ihrem verstorbenen Mann geerbt hatte.
Aber Lucille hatte keine Angst. Sie wußte, daß man zwar ihren Körper töten konnte, doch nicht ihre Seele. Sie hatte sich tatsächlich dem Teufel verschworen.
Wieder versuchte die alte Dienerin die Frau zur Flucht zu überreden. Doch ohne Erfolg. »Ich bleibe«, sagte Lucille Latour hart. »Wenn du willst, kannst du mit dem Wagen verschwinden.«
Da senkte die Alte den Kopf, stand auf und breitete in einer hilflosen Gebärde die Arme aus. »Für mich hat das Leben keinen Sinn mehr«, sagte sie mit leiser Stimme.
»Ist das dein letztes Wort?« fragte die rothaarige Hexe. »Ja.«
»Gut, dann komm mit.« Lucille Latour faßte die alte Maddalena an der Hand und ging mit ihr zu einer kleinen Truhe, die unter einem Wandbehang stand. Lucille bückte sich und schlug die schweren eisernen Bügel der Truhe zurück. Dann hob sie den Deckel.
Die Truhe war bis auf ein kleines Fläschchen leer. Verloren wirkte es auf dem dunkel gebeizten Holzboden. Die rothaarige Hexe nahm das Fläschchen und schraubte es auf. Dann hielt sie es Maddalena hin.
»Trink«, sagte sie. Zögernd griff die Alte nach der Flasche. Ein süßlicher Geruch drang aus der Öffnung, kitzelte ihre Nase und legte sich betäubend auf die Atemwege.
»Du mußt es in einem Zug leeren«, befahl Latour. »Aber beeile dich, wir haben wirklich nicht mehr viel Zeit.«
»Was ist das für ein Trank?« fragte Maddalena.
Die Hexe lächelte. »Der Sud des Teufels«, sagte sie, und in ihren Augen lag plötzlich ein seltsamer Glanz.
Maddalena wich zurück. »Nein«, flüsterte sie. »Ich will nicht. Ich kann es nicht trinken!«
»Du mußt!« Scharf wie ein Peitschenknall drangen die Worte aus dem Mund der Hexe. »Du hast mir vorhin versprochen, daß du bleiben willst. Und jetzt steh zu deinem Wort!«
Die alte Dienerin zögerte. In diesen Sekunden wurde ihr klar, daß ihre Herrin tatsächlich eine Hexe war. Ihr Blick flackerte. Fieberhaft suchte sie nach einem Ausweg.
Draußen vor dem Haus gellten bereits die Schreie der Meute auf. Die Männer und Frauen kamen Maddalena plötzlich wie ein Geschenk des Himmels vor. Wenn sie es schaffte, nach draußen zu kommen, dann war sie vielleicht gerettet.
Sie rannte plötzlich los. Das hieß, sie wollte es. Doch die Frau war zu alt und Lucille Latour zu schnell.
Schon
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