Wer Bist Du, Gott
ich freilich gestehen, dass ich, je älter ich werde, immer weniger daran interessiert bin, Gott
zu beschreiben oder zu erklären. Das hat vor allem damit zu tun, dass ich Gott, je mehr mich die Erfahrungen des Lebens in meine Tiefe geführt haben, als gegenwärtig in meinem Leben erfahren darf, ich mich in meinem Alltag - einmal mehr, einmal weniger bewusst - als mit Gott verwoben erlebe. Mein Beten ist dann Ausdruck und Bewusstmachung dieser Verwobenheit und Verbundenheit mit Gott.
Ich erlebe das als wohltuend und als eine große Bereicherung. Diese Erfahrung trägt mich, gibt mir Halt und Orientierung. Ein Gefühl von Sicherheit und Zuversicht erwächst mir daraus. Ich erlebe und erfahre mich dabei als Teil eines Größeren. Ich erfahre Gott nicht nur in mir, sondern erfahre mich als aufgehoben in Gott. Aus dieser Erfahrung heraus versuche ich meinen Alltag zu leben und zu gestalten.
ANSELM GRÜN: Auch für mich ist die zentrale Frage nicht, wie ich Gott beschreiben, sondern wie ich ihn erfahren kann. Ich möchte nicht nur glauben, sondern auch erfahren, was ich glaube. Dabei halte ich es allerdings mit meinem Namenspatron, dem heiligen Anselm von Canterbury, der sein theologisches Programm mit fides quaerens intellectum, »der Glaube, der nach Einsicht sucht«, beschrieben hat. Man könnte es auch so übersetzen: »die Glaubenserfahrung, die nach Einsicht sucht, die sich selbst verstehen will«.
Daher versuche ich dennoch, über die Erfahrung und Nicht-Erfahrung Gottes zu reden, aber so zu reden, dass ich mich nicht über andere Menschen stelle, als ob ich Gott mehr erfahren hätte als sie, sondern in aller Bescheidenheit.
Wir sind immer Suchende und Fragende auf dem Weg zu Gott. Aber wir dürfen Gott auch immer wieder erfahren. Von meiner Erfahrung her versuche ich, die Erfahrungen der anderen Menschen zu verstehen und denen, die meinen, sie hätten Gott noch nie erfahren, aufzuzeigen, dass sie unbewusst oft genug Gott erfahren haben.
Finde ich Gott, so finde ich mich selbst
WUNIBALD MÜLLER: Einen Vorbehalt muss ich noch loswerden. Ich habe Probleme, über Gott zu sprechen. Ich fühle mich hier Martin Buber verwandt, für den Gott nie zu einem Objekt, zu einem Gegenstand eines Gespräches werden konnte. Der protestantische Theologe Paul Tillich (1965, S. 52) berichtet, dass bei den Gesprächen, die er mit Martin Buber geführt hatte, etwas geschehen sei, was letztlich wichtiger war als der Dialog selbst: die Begegnung mit einem Menschen, »dessen ganzes Sein geprägt war von der Erfahrung der göttlichen Präsenz. Er war, wie man es sagen könnte, ›Gott besessen‹. Gott würde in Martin Bubers Anwesenheit niemals zu einem ›Objekt‹ werden.«
Hier werden die Möglichkeiten, zugleich aber auch die Grenzen unseres Gespräches deutlich. Ich weiß nicht, wer Gott ist. Aber ich bin mir Gottes sicher. Ich setze Gott voraus. Dass ich bin, setzt für mich Gott voraus. Ich kann daher nicht objektiv, abstrakt über Gott sprechen. Er ist für mich kein Gegenstand des Zweifels, sondern, wie das für Martin
Buber gilt, Voraussetzung - und sei es für den Zweifel an ihm. Darin aber liegt auch die Chance für einen Dialog mit den Leserinnen und Lesern, die an Gott zweifeln oder ihn verneinen.
ANSELM GRÜN: Für mich hängt die Frage nach Gott immer auch mit der Frage nach mir selbst zusammen. Der Jesuit Anthony de Mello sagte einmal: Mystik heißt nicht nur, zu fragen: »Wer ist Gott?«, sondern auch zu fragen: »Wer bin ich selbst?« Wenn ich mir immer wieder die Frage »Wer bin ich?« stelle, dann führt mich diese Frage letztlich auch zu Gott, dem Grund meines Lebens.
Ich bin zutiefst überzeugt, dass ich nicht zu meinem wahren Selbst finde, wenn ich nicht Gott als den Grund und Ursprung des Selbst mitbedenke. Diese Überzeugung hatte auch C.G. Jung. Er meint, das Selbst schließe immer auch das Gottesbild mit ein. Das Selbst findet nur der, der auch das Bild Gottes in sich zulässt.
WUNIBALD MÜLLER: Das erinnert mich an Thomas Merton (1951, S. 28), der meinte, dass ich mich erst dann wirklich erkennen kann, auch hinsichtlich meiner tiefsten Berufung und Bestimmung, wenn ich Gott erkannt habe: »Finde ich ihn, so finde ich mich selbst, und finde ich mein wahres Ich, so werde ich ihn finden.« Das aber heißt doch auch, dass ich mich letztlich nie ganz erkennen werde, genauso wie ich Gott nie ganz erkennen werde.
Zugleich würde das aber auch bedeuten, dass die Menschen, die nicht an
Weitere Kostenlose Bücher