Wer Bist Du, Gott
unserem Leib guttut, ja, dass es oft eine heilende Wirkung auf krank machende Lebensmuster haben kann. Darüber wollen wir uns ja später noch ausführlicher unterhalten.
Gott ist nicht der Lückenbüßer, auf den wir immer dann stoßen, wenn wir mit wissenschaftlichen Methoden nicht weiterkommen. Die Sprache von Gott ist auf einer anderen Ebene als die wissenschaftliche Sprache. Daher sehe ich keinen Gegensatz zwischen Gehirnforschung und Theologie. Als Theologe ist es durchaus gut, etwas von der Physik, der Biologie, der Psychologie und eben auch von der Gehirnforschung zu verstehen, damit wir nicht naiv von Gott reden, sondern unser Reden von Gott auch vor der Vernunft verantworten können.
WUNIBALD MÜLLER: Das sehen offensichtlich auch viele Wissenschaftler so, unter denen viele an Gott glauben. Ich stimme dir zu, dass wir unser Reden von Gott vor der Vernunft verantworten können müssen. Mir gefällt, wenn Hans Küng (1992, S. 22) den Glauben des Menschen als »ein begründetes und in diesem Sinn eben vernünftiges Vertrauen« bezeichnet. Ein solches Vertrauen habe zwar keine strengen Beweise, aber gute Gründe. »Wie ja doch auch ein Mensch, der nach manchen Zweifeln auf einen anderen Menschen sich in Liebe einlässt, genau besehen keine strengen Beweise für sein Vertrauen hat, wohl aber - wenn es sich nicht um eine fatale ›blinde Liebe‹ handelt - gute Gründe.«
ANSELM GRÜN: Die frühen Christen wurden ja von manchen Vertretern der römischen Gesellschaft als Atheisten verschrien, weil sie nicht so naiv von Gott sprachen, wie das der römische Staatskult tat. In der Areopagrede, die Lukas dem Paulus in den Mund legt, führt Lukas den Dialog mit der religionskritischen Philosophie der Stoa. Die stoische Philosophie kritisierte den naiven Gottesglauben, wie er in der damaligen Volksfrömmigkeit und in den Göttersagen vertreten wurde.
Lukas greift diese Sicht auf: »Gott, der die Welt erschaffen hat und alles in ihr, er, der Herr über Himmel und Erde, wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand gemacht sind. Er lässt sich auch nicht von Menschen bedienen, als brauche er etwas: er, der allen das Leben, den Atem und alles gibt... Keinem von uns ist er fern. Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir, wie auch einige von euren Dichtern gesagt haben: Wir sind von seiner Art« (Apg 17,24-25.27-28).
Lukas bestätigt das Gottesbild der griechischen Aufklärung. Sein Gottesbild kann dem Urteil der Vernunft standhalten. Und zugleich ist es offen für die Mystik, die, damals wie heute, die Menschen bewegt. Gott ist unbegreiflich, unsichtbar und doch ist er auch in uns.Wir sind von seiner Art. Wer und was Gott ist, erkennen wir also auch, indem wir den Menschen richtig betrachten und beurteilen.
Gott bleibt immer nur erahnbar
WUNIBALD MÜLLER: Ja, Gott ist unbegreiflich, unsichtbar und doch ist er auch in uns. Gott hat, so heißt es bei Kohelet im Alten Testament, die Ewigkeit in uns gelegt. Wenn Gott in uns ist, wird unser Erlebnis- und Erfahrungsbereich um eine neue Dimension erweitert. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein notierte 1916 in einem Heft: »Den Sinn des Lebens, das heißt den Sinn der Welt, können wir Gott nennen.« Das finde ich interessant, wenngleich das auch eine Begrenzung dessen ist, wer Gott ist.Wenn Ludwig Wittgenstein den Sinn des Lebens Gott nennt, wird eine Dimension eröffnet, die die Dimension »Welt«, aber auch die Dimension »Vernunft« sprengt, in der allein wir nicht den Sinn unseres Lebens finden können.
ANSELM GRÜN: Karl Rahner, über den ich promoviert habe und den ich nach wie vor als Theologe sehr schätze, hat zu beschreiben versucht, dass wir bei jedem Denken über das Vorfindbare hinausgehen und letztlich die Transzendenz mitbedenken. Jeder Akt des Denkens übersteigt den konkreten Gegenstand des Denkens und übersteigt ihn auf Gott hin.
Das klingt für viele vielleicht zu abstrakt.Aber Karl Rahners Ansatz ist für mich heute noch wichtig:Wenn wir richtig denken, denken wir letztlich immer Gott mit. Daher ist es mir wichtig, dass wir nicht einfach über Gott reden, als wüssten wir genau Bescheid, sondern dass wir redlich denken, wie es uns Karl Rahner vorgemacht hat, und in unserem Denken, wenn wir es zu Ende denken, auf das Geheimnis Gottes stoßen.
WUNIBALD MÜLLER: Und das sollten wir Gott auch bleiben und sein lassen: ein Geheimnis. Mir gefällt hier, was Martin Buber (1923, V) über das Geheimnis schreibt: »Ich
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