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Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Titel: Wer hat Angst vorm boesen Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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er eben war. Da war ich ziemlich enttäuscht. Auf einmal hatte er wieder Ähnlichkeit mit allen anderen. Trotzdem habe ich ihm etwas zugerufen. Ich rief: HE, DU DA OBEN! - O Herr Jesus, der ist vielleicht zusammengefahren! Er stieß sich aus purer Überraschung von der Wand ab, und die Leiter beschrieb einen weiten Bogen. Und dann fiel er rückwärts um.« »O verdammt.«
    »Er fiel auf den vordersten Grabstein. Ich habe seinen zerschlagenen Kopf angesehen. Seine Beine zuckten noch einige Male, dann lag er ganz still da. Ich versteckte mich hinter einem Grabstein. Dann kam der Pastor angerannt, ich hörte, wie er jammerte und schrie.«
    »Und du solltest schuld sein?«
    »Ich war doch schuld.«
    »Du«, sagte Morgan. »Wie kann jemand so viel Pech haben wie du? Bist du an einem Freitag, dem dreizehnten, geboren?«
    »Danach haben sie mich abgeholt.«
    »Und was hast du ihnen erzählt?«
    »Nichts. Nestor sagte, ich sollte die Klappe halten.«
    »Nestor?« Morgan rieb sich die Augen. »Wie du es geschafft hast, dir so viel Elend an den Hals zu holen, ist einfach zu hoch für mich. Und ich dachte, ich hätte Pech. Aber was ist mit der Frau, die sie gestern gefunden haben? War das auch Pech? Mir kannst du doch die Wahrheit sagen.«
    Langsam wandte Errki ihm das Gesicht zu. »Wie gesagt. Die Dinge passieren einfach.«
    »Diese Erklärung ist aber ein wenig zu einfach, meinst du nicht? Die Bullerei wird dich ausfragen. Du mußt dir überlegen, was du antworten willst.«
    »Ich bin eine Welle«, erklärte Errki dramatisch. »Ich breche mich nur einmal.«
    »Das solltest du denen auch sagen. Dann bist du bald wieder in der Anstalt.« Morgan wischte sich die Stirn. »Meine Nase tut weh«, jammerte er.
    Errki zuckte mit den Schultern. »Du kannst deine Nase durch Willenskraft heilen lassen, wenn du dir ein bißchen Mühe gibst.«
    »Ach was?«
    »Du mußt die Entzündung in die Schranken weisen. Mit all deiner Kraft. Du mußt dich selber heilen.« »Ich bin doch kein Scheißchinese. So was glaub ich nicht.«
    »Deshalb geht’s dir so schlecht.«
    »Kannst du das nicht für mich übernehmen?« fragte Morgan ironisch. »Ich kann mich einfach nicht anstrengen. Ich bin schlaff wie eine Qualle.«
    »Du mußt es selber machen.«
    »Hab ich’s mir doch gedacht«, sagte Morgan mißmutig. »Du«, ihm war etwas eingefallen, »ich hab mal in der Glotze so einen Typen gesehen. Der konnte mit seinem Willen Gläser zerbrechen. Das sah wirklich beeindruckend aus. Aber in Wahrheit war es nur ein Filmtrick.«
    »Durch Willenskraft Gläser zu zerbrechen ist nicht besonders beeindruckend«, sagte Errki. »Das kann ich auch. Glas steht immer unter Spannung, deshalb ist das einfach.«
    »Also hört euch das an! Warum gehst du damit nicht auf Tournee?«
    »Keinen Bock.«
    »Und wer hat dir das beigebracht?«
    »Der Zauberer. Im Central Park.«
    »Gut, daß du Humor hast. Den werden wir sicher noch brauchen.«
    »Weißt du, was der konnte?« fragte Errki. »Er konnte die Haut an seinen Händen so sehr spannen, daß sie platzte.«
    »Zeig mir doch mal ein paar Tricks. Aber laß die Whiskyflasche heil.«
    »Hier gibt’s kein Glas«, sagte Errki nachdenklich. »Nur zerbrochene Fensterscheiben.«
    »Dann hat hier schon mal jemand seine Tricks vorgeführt, denk ich mir.«
    »Aber dahinten in dem Fenster sind noch ein paar große Stücke.« Errki zeigte auf das Fenster zum Hof.
    »Dann mach sie kaputt«, sagte Morgan erwartungsvoll. Er amüsierte sich blendend, hatte aber zugleich das ekelhafte Gefühl, daß alles möglich war.
    Errki erhob sich langsam vom Sofa. Er starrte das Fenster an und ließ sich auf den Boden gleiten. Senkte den Kopf und schloß die Augen. Morgan musterte ihn mit einer Mischung aus Freude und Wehmut in den Augen. Errki starrte die Glasscherbe an, die oben rechts im Rahmen saß. Sie funkelte in der Sonne. Von Errki war kein Laut zu hören, er saß da wie eine Salzsäule. Träge dachte Morgan, daß er vielleicht über ihr weiteres Vorgehen entscheiden sollte. Aber Hitze und Whisky hatten ihn entkräftet, und es tat so gut, einfach stillzusitzen und zu dösen. Das Leben war nicht ganz so ausgefallen, wie er es erwartet hatte. Aber bei Errki sah das ja auch nicht anders aus. Errki war lächerlich, wie er da auf dem Boden saß, ein einziger steinharter Knoten aus Willen und Kraft. Morgan staunte darüber, wie dünn der andere war, mager wie ein Insekt. Und jetzt wollte er ihm ein Zauberkunststück vorführen. Es tat fast weh, daran

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