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Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Titel: Wer hat Angst vorm boesen Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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für ihn bestimmt war. Zögernd legte er Morgan seine Jacke um die Schultern. Aus dem Keller stieg ein dröhnendes Lachen auf, es rauschte in seinen Ohren.
    »Fresse halten!« schrie er.
    »Ich sag doch gar nichts«, erwiderte Morgan. »Was sagen die dir eigentlich? Deine Stimmen? Erzähl mir davon, wie ist das so? Dann sterbe ich immerhin als klügerer Mann.«
    Der Whisky brannte ihm im Magen, er fühlte sich schon wohler.
    »Warum hörst du auf sie? Du weißt doch sicher, daß es sie gar nicht gibt? Ich habe mal gehört, daß Verrückte wissen, daß sie verrückt sind. Aber das kapier ich eben nicht. Ich höre eine Stimme, sagen sie. Ja, Scheiße, das passiert mir auch ab und zu. Innere Stimmen höre ich, so in der Phantasie. Aber ich weiß, daß sie nur Phantasie sind, und ich würde nie auf die Idee kommen, ihnen zu gehorchen.«
    »Außer wenn sie dir sagen, du sollst eine Bank überfallen?« fragte Errki ironisch.
    »Danke, das war meine eigene Entscheidung.«
    »Wie kannst du das so sicher wissen?«
    »Ich erkenne meine Stimme, wenn ich sie höre.«
    Errki starrte noch immer auf den freien Platz. Morgan betrachtete ihn mit aufrichtiger Neugier. »Erzähl mir davon. Weißt du, wie sie aussehen? Haben sie Stoßzähne und grüne Schuppen? Sagen sie dir auch mal was Nettes? Du darfst sie nicht ewig so weitermachen lassen. Ich hab wirklich gedacht, die würden dich umbringen. Vielleicht sollte ich mal mit ihnen sprechen. Vielleicht hören sie ja auf einen Außenstehenden.« Er kicherte unsicher. »Das ist oft so, weißt du, verrückte Hunde und Kinder sollte man zum Nachbarn schicken.«
    Errki hockte sich auf die Kante. Mühsam richtete Morgan sich auf, so daß er neben ihm saß. Hob eine Hand und klopfte ihm dreimal auf die Stirn. »Ihr da drinnen. Jetzt müßt ihr mal aufhören, den Kerl dermaßen zu terrorisieren. Der ist doch total kaputt. Sucht euch einen anderen Kopf zum Ausplündern. Genug ist genug.«
    Errki zwinkerte unsicher. Morgan nahm das alles ganz ernst, dann aber kicherte er los. »Sind es mehrere? Eine ganze Bande?«
    »Mehrere. Zwei.«
    »Zwei gegen einen? Scheiße, das ist doch feige. Sag ihnen, sie sollen sich verpissen, und dann klärst du die Sache mit dem Chef, so von Mann zu Mann.«
    Errki lachte ein abgehacktes Lachen. »Der Mantel ist nicht weiter wichtig. Der liegt hinten in der Ecke und zittert.«
    »Der Mantel?« Morgan blickte ihn verwundert an. Erst jetzt gingen ihm die wahren Ausmaße von Errkis Irrsinn auf.
    »Der hing an einem Haken im Flur.«
    Die Zeit hielt plötzlich an. Alles, was gewesen war, kam zu ihm zurück. Er sah Gesichter und Hände, gehobene Augenbrauen, abgewandte Rücken, Seide und Samt, viele bunte Garnröllchen. Er jagte rückwärts über einen holprigen Weg mit grüner Kante und näherte sich dem Haus. Lief durch die Tür. Durch den schmalen Gang. Die Treppe hoch. Er saß auf der Treppe, fast ganz oben. Sein Vater hatte die Treppe gebaut, aus Kiefernholz. In dem Holz wimmelte es nur so von kleinen, starrenden Augen, die ihn immerfort beobachteten.
    »Der hing einfach da. Der Mantel meines Vaters. Es war nichts darin, nur Luft. Er bewegte sich leise im Luftzug vom Dachboden her. Einmal hat er sich umgestülpt, in dem Moment, als sie stürzte und Bewegung in die Luft brachte.«
    »Sie ist gestürzt?« Morgan blickte ihn neugierig an.
    »Meine Mutter. Sie ist die Treppe hinuntergestürzt. Ich habe sie gestoßen.«
    »Warum das?« Morgan senkte die Stimme. »Hast du sie gehaßt?«
    »Ich habe allen gesagt, ich hätte sie gestoßen.«
    »Aber das hattest du nicht? Oder weißt du es nicht genau? Aber warum hast du es dann gesagt?«
    Errki sah die Bilder vor sich, sie flimmerten über das grobe Holz. Er hob die Hand und zeigte darauf. Unwillkürlich bewegte Morgan den Kopf und folgte Errkis Blick. Er sah nur die verschlissenen Bretter. Errki schwieg.
    »Du«, sagte Morgan und richtete sich weiter auf. »Es wäre doch nett, wenn deine Stimmen mit den Stimmen von anderen sprechen könnten, statt mit dir. Mit denen der anderen Patienten in der Anstalt. Dann könnten sie sich miteinander streiten und euch in Ruhe lassen. Verdammt, ab und zu bin ich einfach genial. Weißt du, wie du sie loswerden kannst? Gute alte Strategie. Spiel sie gegeneinander aus, dann vernichten sie sich am Ende gegenseitig. Her mit der Flasche.«
    Errki hob die Flasche auf, gab sie aber nicht aus der Hand.
    »Jetzt komm schon. Ich will mehr!« Morgan streckte die Hand aus und wollte nach der Flasche

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