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Wer lügt, gewinnt

Wer lügt, gewinnt

Titel: Wer lügt, gewinnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrícia Melo
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täglichen Lebens heranführen müssen, wie das Internet, Ökologie, sexuelle Belästigung, Klone, all diese Dinge. Aber Kröten verwenden? Es fehlt nur noch, daß Sie eine Geschichte über den Mord an einem Löwenäffchen schreiben, falls es noch irgendein lebendes gibt. Ja, wir sind für Ökologie, aber der Minnesota-Verlag ist keine Nichtregierungsorganisation, merken Sie sich das. Exposé abgelehnt. Sie haben noch fünf Tage bis zur Abgabe des Buches.
     
    Fúlvia rief über die Sprechanlage von der Garage aus bei mir in der Wohnung an und bat mich runterzukommen, sie wollte mir eine Überraschung zeigen. Ich ging hinunter. Sie hielt mir ihren verbandlosen Arm entgegen, ich fühle mich super, sagte sie, ich bin wieder gesund. Sie öffnete den Kofferraum, nahm eine Kiste heraus, darin eine dunkelbraune Klapperschlange mit Rauten auf dem Rücken, einen Meter lang oder kürzer. Eine Crotalus durissus, sagte sie und zeigte mir die Schlange. Mit einem Milliliter Gift dieser durissus können wir dreißigtausend Tauben töten. Ich dachte, wir wollten eine Jararaca verwenden, sagte ich. Das wollten wir ja auch, antwortete sie. Nun ist heute eine Kuriersendung im Institut eingetroffen, und ich war die erste, die sie in die Finger bekam. Niemand weiß, wie viele Exemplare wir erhalten haben. Und es wird auch niemand erfahren.
    Fúlvia bat mich, die Klapperschlange in meinem Zimmer zu verwahren. Das gefiel mir nicht. Eine Sucuri am Kopfende meines Bettes zu haben war eine Sache; eine Klapperschlange dagegen war etwas völlig anderes, mir verursachte das gewisse Beklemmungen, ich konnte gar nicht richtig schlafen.
    Von Anfang an schwante mir nichts Gutes. Die Klapperschlange fraß nicht, nahm kein Wasser zu sich, bewegte sich praktisch nicht. Wenn Fúlvia sie hochnahm, versuchte sie nicht, sich zu befreien, sie zeigte auch keine Alarmbereitschaft, so wie meine Sucuri. Ich gewann langsam den Eindruck, daß die Klapperschlange krank war. Irgendwo hatte ich gelesen, daß extrem apathische Schlangen unter Umständen an einer Infektion der Atemwege leiden. Ich sagte Fúlvia das. Nein, antwortete sie, das ist normal, wenn Schlangen in eine neue Umgebung kommen, verweigern sie die Nahrung, ändern ihr Verhalten; im Zoo von Kalkutta ist eine Schlange in den Hungerstreik getreten, nur weil an ihrer Spezialernährung irgendwas umgestellt wurde. So sind Schlangen nun mal.
    Ich hatte meine Zweifel; und wenn, fragte ich, diese traurige Schlange zur Stunde X keine ordentliche Arbeit leistet? Fúlvia befolgte meinen Rat und brachte ein Huhn mit zu mir nach Hause. Laß uns die durissus testen, schlug sie vor und ließ das Tier im Zimmer frei. Ich hatte erwartet, nun einer Szene wie aus einem Film der National Geographie beizuwohnen, die Schlange bereitet sich zum Angriff vor, ihre zwiegespaltene Zunge vibriert bedrohlich, Glocken künden von der sich anbahnenden Tragödie, und schließlich schnellt sie vor und beißt zu. Aber nichts dergleichen geschah. Weder bewegte sich das Huhn in Richtung Schlange noch umgekehrt. Mehrere Male plazierte Fúlvia die Beute neben der Klapperschlange. Nichts passierte. Mir fiel auf, daß Fúlvia das Huhn zu stark preßte. Ich hörte, wie es krachte, als sie dem Huhn den Hals brach. Fúlvia warf das Huhn auf den Boden, trampelte darauf herum, besudelte den Fußboden meines Zimmers. Bist du verrückt geworden? fragte ich. Die Klapperschlange glitt nach vorne und nagte an dem reglosen Huhn. In diesem Moment betrat meine Mutter das Zimmer, erblickte die Schlange, die gerade das Huhn, dessen Schnabel noch hervorlugte, hinunterwürgte.
    Was für ein Macumbazauber ist denn das? fragte meine Mutter. Ich versuchte ihr zu erklären, aber sie wollte nichts davon hören, raus hier mit der Frau, sagte sie, ich habe das Huhn gesehen, ich habe die Schlange gesehen, ich habe das Blut gesehen, ich bin doch nicht auf den Kopf gefallen, du brauchst mir nichts zu erklären. Ich weiß sehr wohl, was das ist, der Teufel ist das, diese Frau wird unsere Familie ins Unglück stürzen. Mitten in diesem Tohuwabohu rief Ingrid, Wilmers Sekretärin, bei mir an. Ich dachte, es ginge um Exposés, die ich abliefern sollte, aber sie wollte mich zum Abendessen einladen, oder zum Kaffee, falls ein Abendessen zu kompliziert wäre. Ich konnte mir nicht vorstellen, was diese resolute Blondine von mir wollte, jedenfalls versuchte ich zu kneifen. Ich muß unbedingt mit Ihnen reden, beharrte sie. Es ist wichtig. Wir verabredeten uns für acht Uhr

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