Wer lügt, gewinnt
ich. Eines Tages, als ich etwas weniger benommen von den Drogen war, sah ich eine Frau, eine Dame in Weiß, die einer verstorbenen Tante von mir stark ähnelte, sie sagte zu mir, daß ich im Krankenhaus sei. Eines hat mich die Intensivstation gelehrt. Ärzte sind Hundeseelen. Eine elende Brut ist das. Sie sind noch schlimmer als Politiker, als Anwälte, als Buchhalter. Ich hasse Ärzte. Sie haben mir Schläuche gelegt, mich durchlöchert, und dabei haben sie sich über die Gefahren des Telefonierens mit dem Handy unterhalten. Als der Arzt mir mitteilte, wir werden Ihnen das Bein amputieren müssen, war ich versucht zu sagen, alles klar, Sie sind entlassen. So als sei er ein Lieferant von Sperrholzplatten, den ich durch einen anderen, besseren ersetzen könnte, aber in der Medizin kann man niemanden austauschen. Einer ist schlimmer als der andere. Noch einen Whisky?
Ronald redete ohne Punkt und Komma. Ich fragte, warum weiß ich nicht, vielleicht, weil ich schon betrunken war, ich fragte, ob er an Gott glaube, und er antwortete, daß er an Gott glaube, aber nicht an die Wissenschaft. Ein Schlangenbiß, und mein Bein ist weg, sagte er. Wozu sind Beine gut? fragte ich. Zum Gehen, sagte er. Ja, sagte ich, zum Gehen, in Ordnung, ich habe zwei Beine, bin ich Ihnen deshalb überlegen? Ein Esel hat vier Beine, sagte ich, ein Tisch hat vier Beine, drei mehr als Sie. Ich glaube, ich hatte zuviel getrunken. Mir fiel auf, daß Ronald und Fúlvia mich fassungslos anschauten. Ich werde mir eine mechanische Beinprothese anpassen lassen beziehungsweise eine elektronische oder dergleichen, sagte Ronald. Anscheinend wird viel entwickelt auf diesem Gebiet.
Während des Abendessens, das im übrigen ausgezeichnet war, wurde Ronald noch trübsinniger. Fúlvia ignorierte mich vollständig, sie wandte ihren Blick nicht von Ronald ab, möchtest du noch, Liebling? Möchtest du dies, möchtest du das? Warum behandelte sie ihn mit so viel Aufmerksamkeit? Der Krüppel wollte nichts annehmen, er starrte mit seinem Hundeblick auf den Teller, lächelte sein stumpfsinniges, trauriges Lächeln, der Hund war jetzt traurig, das noch obendrein, sicherlich, jetzt, wo er das Bein nicht mehr hatte, war er bescheidener, traurig, vielleicht verprügelte er seine Frau nicht einmal mehr. Und ihr gefiel es anscheinend, nicht mehr von dem Hinkebein verdroschen zu werden, vielleicht hatten die beiden miteinander geredet, sich ausgesprochen, ich schlage dich nicht mehr, hatte er womöglich gesagt, laß uns nach Paris fahren, von vorne anfangen, wenn man Geld hat, kann man in Paris von neuem beginnen, dachte ich, ja, hatte sie vielleicht geantwortet, laß uns ein Baby bekommen, in solchen Augenblicken tauchen die Babys auf dem Plan auf, sie lassen ihre Ehe in Scherben gehen und versuchen, sie in Paris mit Babys wieder zu kitten, manchmal ist das so, genauso war es vermutlich gewesen, die beiden hatten sich verständigt, sie würden ein Kind bekommen, sie würden nach Paris reisen, und ich war dort überflüssig, ich vertrödelte meine Zeit. Fúlvia war ihrem Mann gegenüber das Lächeln und die Nettigkeit in Person, das quälte mich. Ich litt während dieses Abendessens. Wenn Fúlvia nicht blufft, dachte ich, wenn sie ihren Mann wahrhaftig anlächelt, wenn sie nichts mehr von mir wissen will, dachte ich, dann bin ich am Ende. Was außer Fúlvia gab es schon in meinem Leben? Nichts. In Wirklichkeit hatte ich mich noch niemals verliebt. Vor Fúlvia schleppte ich die Frauen ins Bett und dachte nur daran zu vögeln und mich zu verkrümeln, zurück nach Hause zu kommen, ich wollte keine Frau in meiner Wohnung, in meinem Bett, wo ich tagaus, tagein schlief, ich wollte vögeln und fertig, und wenn ich nach Hause kam, wußte ich schon nicht mehr, wie die Brüste der Frau gewesen waren oder welche Farbe genau ihr Haar gehabt hatte oder wie sie gerochen hatte, aber mit Fúlvia Melissa war es anders, ich wußte, wie ihr Bauchnabel aussah und ihr großer Zeh, und ich nahm sie mit zu mir nach Hause und ließ sie die Laken meines Bettes mit ihrem Duft erfüllen, ich wollte den ganzen Tag mit ihr Zusammensein, mit ihr schlafen und mich mit ihr unterhalten, selbst wenn es nur um Schlangen und um Morde ginge.
Nach dem Essen fragte ich, während Fúlvia den Tisch abräumte, ob ich ins Bad gehen dürfte, und wartete auf dem Flur. Als sie mit den Schüsseln an mir vorbeigehen wollte, zog ich sie ins Badezimmer. Vorsicht, sagte sie, ich stellte das Geschirr auf der Toilette ab,
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