Wer nie die Wahrheit sagt
Wir müssen die andern warnen.« Sie begann zu husten, krümmte sich, und er zögerte nicht lange. Rasch hob er sie hoch und trug sie die breite Mahagonitreppe hinunter.
Mrs. Blade war in der Lobby und half einer ziemlich alten Dame, die leise vor sich hin schluchzte.
»Das ist Mrs. Nast. Sie ist Dauermieterin. Ich habe versucht, neun-eins-eins zu rufen, aber die Leitungen sind tot, können Sie sich das vorstellen? Im dritten Stock sind noch Leute, Mr. Russo. Bitte holen Sie sie.«
»Ich habe den Notruf bereits über mein Handy angerufen. Sie sind schon unterwegs.« Simon setzte Lily ab und rannte wieder nach oben. Er hörte sie krampfhaft husten, während er drei Stufen auf einmal nahm.
Er kam nicht allein oben an. Neben ihm tauchten plötzlich Feuerwehrleute auf, dick vermummt, und brüllten ihm zu, er solle machen, dass er rauskomme.
Er nickte, dann sah er eine junge Frau, die sich hustend mit zwei Kindern abmühte. Die Feuerwehrmänner hatten alle Hände voll mit den anderen Gästen zu tun. Simon hob einfach alle drei auf einmal hoch und trug sie nach unten. Sie mussten alle husten, als sie endlich draußen waren, die Kinder weinten, und die Mutter, mühsam beherrscht, versuchte, sie zu beruhigen, zu trösten. Überschwänglich bedankte sie sich bei ihrem Retter, wieder und wieder, bis Simon ihr schließlich den Mund zuhielt und sagte: »Ist schon gut. Kümmern Sie sich jetzt um Ihre Kinder.«
Der Großteil der Frühstückspension konnte Gott sei Dank gerettet werden, und auch alle zehn Gäste, die sich zur Zeit dort aufhielten. Niemand war ernsthaft verletzt worden, es gab nur leichte Rauchvergiftungen.
Colin Smith, der FBI-Agent, den Clark Hoyt hergeschickt hatte, um die Frühstückspension nachts zu überwachen, erzählte, er habe zwei herumschleichende Männer gesehen; er sei ihnen gefolgt, habe sie aber leider verloren. Als er sich dann wieder umwandte, hatte er den Rauch gesehen und sofort die Feuerwehr angerufen. Deshalb hatte man auch den Großteil des Gebäudes retten können.
Agent Smith ließ sie, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass sie unversehrt waren, stehen und wiederholte seine Geschichte vor dem Chef der Feuerwehr und dem Brandstiftungsexperten, der eben eingetroffen war.
Simon hielt Lily fest an sich gedrückt. Sie war barfuß, trug nur ein knöchellanges Flanellnachthemd; die Haare hingen ihr zerzaust um die Schultern. Er selbst hatte es noch geschafft, in seine Jeans zu schlüpfen und einen Pulli und Schuhe anzuziehen, bevor er aus seinem Zimmer gestürzt war. Es war kalt, wohl unter zehn Grad, und die Feuerwehrleute verteilten Mäntel und Decken unter den Opfern. Nachbarn kamen heraus und brachten noch mehr Decken und Kaffee, sogar Brötchen.
Simon fragte: »Geht’s dir gut, Lily?«
Sie nickte nur. »Wir sind noch am Leben, das ist die Hauptsache. Diese Bastarde. Ich kann’s nicht fassen, dass sie das ganze Haus angesteckt haben. So viele Menschen hätten verletzt werden oder sogar sterben können.«
»Deinem Bruder war von Anfang an klar, früher noch als mir, dass sie vielleicht was versuchen würden. Du hast Agent Colin Smith kennen gelernt. Dein Bruder hat das hiesige FBI-Büro alarmiert und gebeten, jemanden zu schicken, um auf uns aufzupassen.«
Sie seufzte und rührte sich nicht von der Stelle. Sie war erschöpft, glaubte nicht, auch noch ein Glied bewegen zu können, selbst wenn sie gewollt hätte. »Ja, ich habe gemerkt, dass er unseretwegen da war. Ich wünschte nur, er hätte die Kerle erwischt, bevor sie das Feuer legten.«
»Das geht ihm bestimmt genauso. Er macht sich schwere Vorwürfe. Hat seinen Boss Clark Hoyt angerufen, als ich ihn das letzte Mal sah. Hoyt wird wahrscheinlich auch bald hier sein. Ich wette, er hat Savich bereits angerufen.«
»Um vier Uhr morgens?«
»Guter Hinweis.«
»Es ist echt kalt, Simon.«
Er setzte sich auf einen der Liegestühle, die ein Nachbar rausgebracht hatte. Dann zog er sie auf seinen Schoß und wickelte sie beide in eine Decke. »Besser?«
Sie nickte nur, den Kopf an seiner Schulter, und flüsterte: »Was für ein Scheißschlamassel.«
Er lachte.
»Weißt du, Simon, nicht mal Remus würde so weit gehen. Da ist jemand derart verzweifelt, derart bösartig, dass es ihm egal ist, wer umkommt. Das ist wirklich beängstigend.«
»Ja«, pflichtete er ihr langsam bei, »das ist es. So was hätte ich wirklich nicht erwartet.«
»Dich hat man schon kurz nachdem du Washington verlassen hattest überfallen. Diese
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