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Vergangene Schatten

Titel: Vergangene Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Robards
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1
    20. Juni
    »Ich werd nicht mit so 'nem verlausten Köter unter einem Dach leben, also schaff ihn gefälligst hier raus!«
    Der »Köter« kauerte sich ängstlich an ihre Beine. Marsha Hughes hob ihn hoch und wich langsam einen Schritt zurück. Sie war froh, dass Keith in der Tür zur Küche stand und nicht zwischen ihr und der Wohnungstür. Sie kannte diesen Ton genau. Sie kannte auch den Ausdruck auf seinem geröteten Gesicht. Sie wusste, was als Nächstes kam, nachdem sich seine kräftigen Arme strafften und seine fleischigen Hände zu Fäusten ballten. Das Tier, ein streunender Hund, den sie bei dem Müllcontainer hinter dem baufälligen Haus, in dem sie lebten, aufgelesen hatte, schien das auch zu spüren. In ihren schützenden Armen kauernd, ließ er Keith nicht aus den Augen und begann schließlich am ganzen Leib zu zittern.
    »Okay, okay«, sagte Marsha beschwichtigend zu Keith und drückte den zitternden Hund noch etwas fester an sich. Er war vielleicht nichts Besonderes, und es lohnte sich nicht, Keith deswegen zu erzürnen - doch sie würde tun, was sie konnte, um zu verhindern, dass er dem Tier wehtat. Der Hund hatte irgendetwas an sich, das sie rührte. Er war nicht viel größer als eine Katze - ein mageres, schmutziges und verwahrlostes Tier, ein Weibchen mit dunklen Augen in einem fuchsähnlichen Gesicht, mit großen, aufgerichteten Ohren, einem kurzhaarigen mattschwarzen Fell mit einem weißen Fleck auf der Brust und einem buschigen Schwanz. Er war kein schöner Hund, aber sie hatte ihn gleich süß gefunden, als er zu ihr kam, nachdem sie nur mit dem Finger geschnippt hatte. Er hatte sich von ihr in den Arm nehmen und ins Haus tragen lassen, und er hatte dankbar ihre Hand geleckt, als sie ihm Wurst und Käse zu fressen gab; mehr hatte sie nicht im Kühlschrank gehabt, weil es Donnerstag Abend war und sowohl sie als auch Keith ihr Geld erst am Freitag bekamen. In den Stunden, die sie mit ckm Tier allein war, nachdem sie von ihrem Job als Kassiererin im Winn-Dixie-Supermarkt nach Hause gekommen war, hatte sie mit dem Gedanken gespielt, dass sie den Hund vielleicht behalten könnte - bis Keith dann von seiner Arbeit im Honda-Werk heimkehrte und sofort einen Wutanfall bekam, als er das Tier sah. Wenn Keith abends nicht zu Hause war, wäre es schön gewesen, den Hund bei sich zu haben. Sie würde mit ihm reden und sich um ihn kümmern können, und vielleicht würde er ihr richtig ans Herz wachsen.
    Eigentlich war es traurig, dass sie einen streunenden Hund brauchte, um etwas Liebe in ihr Leben zu bringen - aber wenn sich die Dinge für sie nun einmal so entwickelt hatten, dann musste man der Wahrheit ins Auge sehen. Sie war fünfunddreißig Jahre alt, hatte rotes Haar und eine recht gute Figur, doch in ihrem Gesicht zeigten sich bereits erste Spuren des Älterwerdens. Es kam nicht mehr oft vor, dass sich ein Mann nach ihr umdrehte. Neulich in einer Rite-Aid-Drogerie hatte sie mit dem alerten jungen Mann geflirtet, der sie bediente. Er war ausgesprochen freundlich, doch als er dann »Ma'am« zu ihr sagte, bevor sie ging, da begriff sie sofort, dass er kein Interesse hatte. Die nackte Wahrheit war, dass ihre besten Jahre langsam der Vergangenheit angehörten, nachdem sie zwei Scheidungen hinter sich hatte und nicht mehr viel Nennenswertes vor sich - abgesehen von einem Leben mit diesem gut aussehenden, aber jähzornigen Mann und ihrem langweiligen Job.
    »Also dann, weg mit dem Mistvieh«, sagte Keith in drohendem Ton und mit einem Blick, der ihr sagte, dass dunkle Gewitterwolken heraufzogen. Ihr Mund wurde trocken, und ihr Magen krampfte sich zusammen. Wenn Keith gut aufgelegt war, dann konnte man wirklich gut mit ihm auskommen - wenn aber seine Stimmung umschlug, dann konnte er einem richtig Angst machen.
    »Okay«, sagte sie noch einmal und ging zur Tür. Keith schien vorerst besänftigt und ging in die Küche. Erleichtert drückte Marsha den Hund noch etwas fester an sich, als sich die Küchentür hinter Keith schloss.
    Der Hund leckte ihr übers Kinn.
    »Tut mir Leid, Schätzchen«, flüsterte sie ihm bedauernd ins Ohr. »Aber du siehst ja, wie die Dinge stehen. Du musst wieder gehen.«
    Der Hund winselte traurig, so als würde er verstehen, was sie ihm sagte, und es ihr nicht übel nehmen. Sie tätschelte ihn zärtlich. Er war ein süßer kleiner Kerl, um den es ihr wirklich Leid tat.
    Plötzlich hörte sie Keiths Stimme aus der Küche. »Verdammt!«, stieß er hervor und fügte etwas lauter hinzu:

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