Werke
hindurch das Freie zu suchen.
Er tat es auch und fragte noch in mehreren Nebenhäusern rechts und links, ob sie nichts von dem Sachverhalte des weißen Häuschens wüßten. Allein sie wußten nichts. Nur den Namen und die Wohnung des Eigentümers des Häuschens konnten sie ihm angeben. Er gedachte nun wohl seines Versprechens, nicht nach den Verhältnissen Cölestens forschen zu wollen, aber unter den gegebenen Umständen hielt er Forschen für erlaubt, ja vielleicht für geboten, da er ihr selber durch sein Ausbleiben den Weg der Eröffnung abgeschnitten hatte. Er nahm sofort einen Wagen, fuhr zu dem Eigentümer des Häuschens und legte ihm Fragen über das weibliche Wesen vor, das in seinem Hause gewohnt habe.
Der Mann sagte, er wisse wohl, daß eine Dame sein Gartenhaus bewohnt habe, aber gestern seien von dem Haushofmeister derselben, den man Dionys genannt habe, die Gerätschaften fortgebracht worden. Heute habe er die Fenster und Türen öffnen lassen, damit die Wohnung auslüfte, dann denke er sie wieder zu vermieten. Sonst wisse er nichts, Dionys habe gestern den Rest der Miete bezahlt.
»Seit wann ist das Häuschen an die Dame vermietet gewesen?« fragte Hugo.
»Seit dem Frühlinge«, antwortete der Eigentümer.
Hugo fahr nach diesen Erkundigungen nach Hause und verbrachte den Rest des Tages in seiner Stube. Am andern Morgen um zehn Uhr ging er in die Kirche von Sankt Peter. Aber die schwarze Gestalt kniete nicht, wie gewöhnlich, an dem Altare. Die Messe wurde aus, alle gingen fort – sie war nicht da gewesen. Den nächsten Tag ging er wieder in die Kirche, er wartete nach der Messe in der einsamen breiten Gasse – aber er sah sie nicht. Dies tat er nun mehrere Wochen hindurch, ohne seinen Zweck zu erreichen. Er war unterdessen auch wieder einmal in dem Garten gewesen, in welchem das Lindenhäuschen stand – aber es wohnten jetzt bereits fremde Leute darinnen. Unter allen seinen Bekannten und unter andern Leuten forschte er herum, allein er hatte sein Geheimnis so gut bewahrt, und von der andern Seite war es so gut bewahrt worden, daß niemand auch nicht die entfernteste Ahnung von der Bedeutung des Häuschens hatte.
Hugo meinte, es könne gar nicht anders möglich sein, er müsse das schöne, geliebte, durch so lange Zeit her täglich geschaute Angesicht wo sehen!
Aber er sah es nicht.
Nachdem schon das Forschen Monate gedauert hatte, nachdem schon der Winter seine Flocken und seine Eisdecke auf die Stadt herab geworfen hatte, gab er seine Bemühungen auf. Er saß in seinem Zimmer und hielt das schöne, müde Haupt in seinen beiden Händen.
4. Das Eichenschloß
Wie ein warmer Tag des Herbstes die ganze Haide mit den unsichtbaren Fäden des Nachsommers überspinnt, der Morgen nach der Nacht aber, die ihre Tauperlen darauf fallen ließ, das ganze Gewebe weithin sichtbar macht, grau, feucht, blitzend, über alle Gräser gespannt: so hatte sich ein Schleier gewoben durch das ganze deutsche Land, an jedem Jünglingsherzen war ein Faden angeknüpft – und längs dieses Fadens lief die Begeisterung. Wohl ahneten und wußten einzelne Herzen um den Schleier, aber es fehlte nur noch die Sonne, die da aufgehen, das Geschmeide plötzlich darlegen und allen weithin sichtbar machen sollte, daß es da sei – gleichsam ein Kleinod für das Vaterland, und ein verderbliches Totenhemd für den Feind. Das Morgengrauen für diese Sonne war gekommen, man hatte nicht gewußt wie – und die Sonne stand endlich auch da, man hatte sie nicht aufgehen gesehen. Es kam eine sehr ernste Zeit. Alle Gefühle und Bestrebungen, die sonst gegolten hatten, waren jetzt klein und nichtsbedeutend. Je mehr die entschlossenen Herzen Opfer bringen, hier Vater und Mutter, dort Weib und Kind, oder Schwester und Braut verlassen und von sich ablösen mußten, desto ernster und heiliger wurde die Zeit – und desto ernster und heiliger wurden auch die Herzen. Eines derselben schlug auch in Lust und Bangigkeit in Hugos Brust dem Augenblicke ent gegen – in Lust und Bangigkeit – aber nicht mehr so rein.
In trüber Trunkenheit war es befangen, und er hatte einst geglaubt, daß er den Tag ganz anders empfangen werde, als er ihn empfing. Wohl wurde auch ihm sein Kummer, den er in dem Gemüte trug, gegenüber von den Ereignissen, die sich vor ihm aufrichteten, klein und fast kindisch, aber ganz tilgen konnte er ihn nicht, und in völliger, ungetrübter Freude und Entschlossenheit seinem Ziele entgegen gehen konnte er nicht. Wohl war ihm
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