0780 - Vorstoß nach Avalon
Hanuman-Tempel, Rajasthan, Indien
Die steinerne Fratze des Affengottes war zu einem ewigen Grinsen verzerrt. Viel erkennen konnte man davon allerdings nicht mehr, denn die Statue war geborsten. Sie existierte nur noch in Bruchstücken.
Niemand wusste, warum der Tempel zu Ehren des Affengottes Hanuman aufgegeben worden war. Vielleicht waren seine Anhänger in diesem Landstrich ausgestorben. Oder moslemische Kriegerstämme hatten bei ihren Eroberungszügen nach Nordindien die Kultstätte der »Ungläubigen« zerstört.
Für die Beamten der India Demon Police war nur wichtig, dass sie hier, zwischen den Tempelruinen, den Dämon stellen konnten.
Normalerweise hätte der Asipatra sich nur in die Lüfte schwingen müssen, aber dieser Fluchtweg war ihm versperrt. Über dem Tempelgelände kreiste ein Polizeihubschrauber mit weißmagischen Waffen an Bord.
Das hatte der Dämon gewittert. Daher musste die Bestie in dem Labyrinth aus Mauerresten Zuflucht nehmen.
Die Polizisten der Spezialeinheit rückten vor. Jeder von ihnen hatte schon mehrfach gegen die zahlreichen Dämonen gekämpft, die den indischen Subkontinent unsicher machten.
Mit einer Ausnahme.
Für Constable Lata Vahana war es der erste Einsatz überhaupt. Die junge Polizistin war erst vor kurzem zur India Demon Police gestoßen. Sie hatte einige Zeit bei einer Zauberin gelebt, die sie in ihr geheimes Wissen eingeweiht hatte. Das Abschiedsgeschenk der Magierin war ein Zauberstab gewesen.
Und den hielt Constable Vahana nun in der rechten Hand. Jeder Polizist der India Demon Police hatte seine eigene weißmagische Waffe. Eine einheitliche Bewaffnung war aus nahe liegenden Gründen nicht möglich. Viele Zauberwaffen funktionierten nur, wenn sie unmittelbar auf ihren Träger abgestimmt waren.
Geduckt schlich die junge Polizistin durch die Ruinen. Sie trug die übliche indische Polizeiuniform, olivfarben und mit Lederkoppel sowie Schirmmütze.
Lata Vahana gestand sich ein, dass ihre Knie ganz weich waren vor lauter Angst. Gewiss, sie hatte über Walkie-Talkie direkten Kontakt zu ihren Kollegen. Aber wenn die höllische Bestie über sie herfiel, würde ihr das herzlich wenig nützen.
Jetzt reiß dich mal zusammen!, schimpfte die junge Inderin mit sich selbst. Meinst du vielleicht, Asha Devi fürchtet sich?
Der Gedanke an die rabiate Inspektorin gab ihr sofort Auftrieb. Asha Devi war nämlich Latas großes Vorbild. Es gab kaum eine Frau bei der indischen Polizei, die so umstritten war wie die Tochter des Millionärs und Politikers Ramesh Devi.
Bis vor kurzem war Asha Devi vom Dienst suspendiert gewesen, wegen Verdachts auf Polizeibrutalität. Aber da die Betroffenen letztlich doch alle auf Strafanzeigen verzichtet hatten, musste der Untersuchungsausschuss die Inspektorin in den aktiven Dienst zurückkehren lassen. Wenn auch äußerst widerstrebend… [1]
Und nun war Constable Vahana gemeinsam mit ihrem großen Vorbild Asha Devi auf Dämonenjagd!
Die junge Polizistin drang noch tiefer in die Tempelruine vor. Da vernahm sie ein seltsames Fauchen. Latas Herz rutschte endgültig in die Hose.
Sie konnte förmlich die Nähe des Bösen spüren. Am liebsten wäre sie davongelaufen. Aber sie hatte sich schließlich bei dieser Spezialeinheit gemeldet, weil sie gegen die übersinnlichen Mächte kämpfen wollte. Oder hatte sie sich das alles zu einfach vorgestellt?
Diese Frage musste einstweilen unbeantwortet bleiben. Denn nun sah Constable Vahana die Bestie vor sich!
Der Asipatra war noch größer als die junge Polizistin befürchtet hatte. Ein penetranter Gestank nach verbrannten Leichen ging von ihm aus. Kein Wunder, denn neben der Totenstadt Yamapura gehörten Verbrennungsstätten zu den bevorzugten Aufenthaltsorten dieser Unholde.
Lata zitterte am ganzen Körper. Aber ihre antrainierten Reflexe siegten doch über ihre Panik. Während sie mit der rechten Hand ihren Zauberstab fester packte, führte sie mit der linken das Walkie-Talkie zum Mund.
»Corporal Vahana an Einsatzleitung! Ich habe das Objekt gesichtet. Nordöstlich vom Haupttor, links hinter dem umgestürzten Eisenrinden-Baum.«
»Wir kommen, Corporal!«, quäkte eine männliche Stimme. »Sind noch mehr Kollegen in der Nähe?«
Lata Vahana machte einen langen Hals. Sie konnte kaum glauben, was sie sah. Aber auf ihre Augen hatte sie sich bisher immer verlassen können.
»J…ja, Sir. Inspektorin Devi ist in Rufweite. Ich habe sie gerade erst gesehen. Aber…«
»Was aber?«
»Aber die Inspektorin
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