Werke
Damals dachte ich mir innerlich oft, wie süß, wie unendlich süß die Liebe sein müsse, und wie lohnend für alles Weh der Erde. Dann sah ich dein Annähern – Hugo, ich habe in jener Gasse nicht absichtlich das Blatt fallen gelassen, daß du mir es bringest – oft hat mich der Gedanke gequält, daß du dieses glauben könntest – aber, da du es brachtest, war mir die Handlung hold – und es ist im Ernste wahr, wenn du grüßtest, schwindelten mir die Häuser der Straße vor dem Blicke. Als du mit mir endlich in der einsamen Gasse geredet hattest, entdeckte ich mich außer meinem Mädchen, das längst mein Inneres kannte, noch Dionys und fragte ihn um Rat. Der alte Mann zeigte viele Freude, er mietete das Gartenhäuschen, er borgte Geräte und richtete es ein. Ich wohnte nicht dort, Hugo; jeden Vormittag ging ich meinem Gelübde nach in die Kirche, aber es war nicht mehr die von Sankt Peter, in der du mich zum ersten Male gesehen hast, sondern eine andere; im Nachmittage war ich in dem Häuschen, und du warst bei mir. Mein Herz, das mir so viel versprochen hatte, belog mich nicht. Ach! warum mußtest du denn mehrere Tage nicht kommen?! In der Nacht des dritten, an dem ich dich nicht gesehen hatte, mußte ich fort. Mein Gatte war in Genf todkrank geworden, er sandte einen Freund, mich augenblicklich zu holen; dieser kam in der Nacht, wechselte die Pferde, ließ mir so viel Zeit, daß das Nötigste gepackt wurde, und nahm mich fort. Ich konnte bloß auswirken, daß mir Dionys erst am nächsten Tage folgen dürfe, damit er dir alles sage, und damit er mit dem Eigentümer des Häuschens ins Reine käme. Das letzte tat er, aber ach, das erste nicht, damit du nicht etwa auf die Spur kämest, wer ich wäre. Wenn sich die Sache wie immer wendete, sagte er, da er mich eingeholt hatte, so kämen wir entweder bald in die Stadt zurück, oder könnten dir auf eine geschickteWeise Nachricht geben. Der alte Mann fürchtete in der schwebenden Lage für meine Erbschaft. Die Sache wendete sich auch bald. Ich kam nach Genf, mein Gatte starb, und machte mich zur Erbin seines und meines Vermögens. Ich weinte bitterlich an seinem Grabe; denn er war ein sehr armer, armer Mann gewesen. – Als sich meine Lebensgeister wieder gesammelt hatten, richtete ich sogleich alles in Ordnung und wollte wieder zurück reisen. Allein es war indessen der Krieg ausgebrochen und hatte sich beinahe mit den Flügeln des Windes über alle Länder ausgebreitet. Ich konnte nicht durch. Mit vieler Mühe und nach langer Zeit verschaffte ich mir Pässe aller Art – die Reise war sehr langsam, da oft keine Pferde waren, oft die Leute sie verleugneten. – Endlich kam ich an, aber du warst fort. Wie ich dachte, hattest du dich in die Reihe der Krieger gestellt. – Nun forschten wir Jahr nach Jahr, wir wußten nicht, bei welcher Macht und in welcher Abteilung du stündest – die Kriege wälzten sich hierhin und dorthin – – Hugo, viele lange Jahre haben wir geforscht, – endlich fanden wir dich – – du bist da.« –
Das Weib hatte das letzte fast mit Angst gesagt, und dann hauchte sie beinahe nur noch die Worte hinzu: »Nun, Hugo, rede.«
»Wie sieht denn Dionys aus?« fragte er.
»Es ist ein sehr alter, hagerer Mann mit weißen Haaren und blauen Augen«, antwortete sie.
»Ein wenig vorgebeugt?« »Ein wenig vorgebeugt.« »Traue ihm nicht mehr,« sagte Hugo, »er war falsch gegen uns beide.«
»Lasse jetzt Dionys,« antwortete sie, »und rede« – –
Aber er redete nicht, seine Augen waren zu Boden geheftet – sie schwieg auch und wartete.
Endlich sagte er: »Heißest du auch wirklich Cöleste?« »Ja, ich heiße Cöleste«, antwortete sie.
»Siehe, Cöleste, das hast du nicht gut gemacht, nicht gegen deinen Gatten und gegen mich. Ich kann dir nicht mehr trauen!«
»O meine Ahnung,« kreischte das Weib, indem sie ihr Angesicht in die Kissen des Sofas verbarg, – »eilf Jahre habe ich ihn gefürchtet, diesen Augenblick.«
Eine Zeit lang hielt sie die Glut des Antlitzes gegen die bergenden Kissen gedrückt. Dann hob sie das Haupt wieder, um in seine Züge zu schauen. Er war aufgestanden, sein Angesicht war entfärbt, aber sie konnte nicht erkennen, was in ihm vorgehe.
»Hugo, Hugo,« rief sie, »blicke nicht so«, – und halb knieend flehte sie zu ihm: »Lerne mich nun auch als rein kennen, ich bin es – ich werde es sein – o rechtfertige mich vor mir, und lerne mich kennen, daß ich gut bin« –
Hugo wurde noch blässer, und
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