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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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gesehen hatte, nicht mehr erblicken konnte, und neben ihm säuselte das dürre herbstliche Gras.
    Mit den Worten: »Verzeihe dir Gott, du armer, verblendeter Greis, daß du in deiner Leidenschaft zwei Menschen unglücklich gemacht hast, wie ich dir verzeihe, sie erfahre nie, was du eingeleitet hast«, setzte er seinem Pferde die Sporen ein und ritt langsam den sanften Hang hinunter. In dem nächsten Augenblicke darauf konnte man die hallenden Hufschläge vernehmen, wie er auf der festen Straße der Haide davon ritt und in die ihn umgebende Nacht hinein jagte.
    Er kam spät zu Hause an, legte sich aber nicht nieder, sondern schrieb bis zu dem Morgen an einem Briefe an Cöleste. Was er ihr in demselben schrieb, wie sanfte, gute oder starke Worte er in demselben an sie richtete, ist nie bekannt geworden. Als er mit dem Schreiben fertig war und das Papier gefaltet und gesiegelt hatte, blickte er auf die Buchstaben des Siegels, die in dem zweifelhaften Scheine des Morgens und seiner Kerze düster da standen und in dem feinen roten Wachse die Worte bildeten: »Servandus tantummodo honos.« Dann löschte er die Kerze aus, da der Tag immer klarer hereinbrach, rief seinen Diener und sagte ihm, daß er diesen Brief sogleich nach Schloß Pre bringen möchte, dann soll er sich im Zurückreiten sputen, damit er einpacken könne. Denn er selber wolle sich indessen bemühen, daß sie die Erlaubnis bekämen, ihrer Heeresabteilung vorausreisen zu dürfen.
    Der Diener brachte den Brief nach Schloß Pre, kam zurück, packte ein, da Hugo die angesuchte Erlaubnis erhalten hatte, und in einer Stunde darauf reiseten sie ab.
    Zwei Tage nachher folgte ihnen ihre Heeresabteilung, und da diese fort war, wurde es wieder so einsam und öde um Schloß Pre, wie es zuvor gewesen war.
    Aber auch einsam und öde war es in dem alten Hause, das auf der Gebirgshalde stand.
    Hugo war aus dem Kriegsdienste getreten, da in der ganzen Welt der ersehnte Friede heran gekommen war, er hatte sich auf sein Besitztum begeben und verwaltete es nun. Er blieb, wie ein Jahr nach dem andern verging, auf demselben allein und vermählte sich nicht. Er versammelte seine Knechte und Leute um sich, gab ihnen Befehle, verbesserte sein Anwesen und tat den Leuten, die in der Gegend wohnten, Gutes. – Später rang er mit Gewissensbissen, und da er alt geworden, da sich die Harte des Krieges verloren hatte, und da er weichherzig geworden war, hat er oft bitterlich geweint und gesagt: »Wie
sie
ist doch keine – wie
sie
ist doch keine.«
    Einmal, da seine Haare schon so weiß waren, wie einstens die seines Vaters, ging er durch die Gerölle gegen den Morigletscher hinan, den er sonst in der Jugend gerne besucht hatte, und warf das alte Siegel in eine unzugängliche Schlucht. Als er tot war, kam das Erbe kraft seines Testamentes in den Besitz fremder Menschen, die außer Deutschland wohnten. Es erschien, um den Besitz der Liegenschaften auf sich schreiben zu lassen, eine äußerst schöne, junge blonde Frau auf der Gebirgshalde. Man hatte ihr Hugos Grab zeigen müssen, und sie war lange mit vielen Tränen vor demselben gestanden. Später kam sie noch zweimal in zwei verschiedenen Sommern mit ihrem Gemahle und zwei Kindern und wohnte einige Wochen auf der Halde. Nachher aber erschien sie nie mehr, das Haus kam unter die Hände von Mietlingen und begann zu verfallen.
    Das Frühglöcklein tönt noch wie sonst, der Bach rauscht wie sonst – aber auf dem alten Hause ist es heut zu Tage ein trauriger, betrübter Anblick unter den Trümmern der verkommenden Reste.
    Nur die Berge stehen noch in alter Pracht und Herrlich keit – ihre Häupter werden glänzen, wenn wir und andere Geschlechter dahin sind, so wie sie geglänzt haben, als der Römer durch ihre Tale ging und dann der Alemanne, dann der Hunne, und dann andere und wieder andere. – – Wie viele werden noch nach uns kommen, denen sie Freude und sanfte Trauer in das betrachtende Herz senken, bis auch sie dahin sind, und vielleicht auch die schöne freundliche Erde, die uns doch jetzt so fest gegründet und für Ewigkeiten gebaut scheint.

Brigitta

1. Steppenwanderung
    Es gibt oft Dinge und Beziehungen in dem menschlichen Leben, die uns nicht sogleich klar sind, und deren Grund wir nicht in Schnelligkeit hervor zu ziehen vermögen. Sie wirken dann meistens mit einem gewissen schönen und sanften Reize des Geheimnisvollen auf unsere Seele. In dem Angesichte eines Häßlichen ist für uns oft eine innere Schönheit, die wir

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