245 - Geisterstadt Washington
Das Ding, schoss es ihm durch den Kopf. Einen Augenblick lang hatte er tatsächlich vergessen, warum er eigentlich hier war und dieses Schott gesprengt hatte. Orguudoos Rotz, wie die Trashcan-Kids die Kreatur nannten, war ihm auf den Fersen!
Panisch sprang er auf und blickte sich um. Und da war sie, die giftgrüne Kreatur – ein Ableger des ursprünglichen Schleimmonsters, das sich längst auf den Weg zum Pentagongebäude gemacht hatte.
Die Kreatur hatte inzwischen die Straße vor dem Weißen Haus verlassen und schob sich in wallenden Bewegungen auf Little Rock zu. Sie war groß wie eine Scheune und hatte weder Gliedmaßen, noch ein Gesicht. Keine zwanzig Meter lagen mehr zwischen ihm und dem Ding.
Der Trashcan-Anhänger schnappte nach Luft. Er wusste nicht, was ihn mehr entsetzte: dass die abgesprengten Teile des Monsters ein Eigenleben entwickeln konnten – oder die Tatsache, dass sich diese Teile wesentlich schneller fortbewegten als das Ursprungswesen. Wie eine Riesenqualle robbte der Ableger raschelnd und scharrend über die Pflastersteine. Rock dachte an Davie und all die anderen, die diese wandelnden Hautlappen unter sich begraben hatten. Das Einzige, was von ihnen übrig geblieben war, waren ihre Knochen und Zähne.
Du kriegst mich nicht! Rock ballte die Fäuste, wandte sich von seinem Verfolger ab und sprang durch die zerklüftete Schottöffnung. Er hetzte die Treppen zu den unterirdischen Bahngleisen hinunter. Mit jeder Stufe, die er nahm, wurde ihm schmerzlicher bewusst, was nun vor ihm lag: ein drei Kilometer langer Tunnel, der in die U-Bahnhofshalle des Pentagons führte. Erst dort würde er in Sicherheit sein. Doch konnte er diese Strecke überhaupt bewältigen? Er strotzte nicht gerade vor Kraft, war eher von schmächtiger Gestalt und vermied für gewöhnlich jede körperliche Anstrengung.
Die Angst vor der schrecklichen Kreatur verlieh ihm Flügel. Am Fuße der Treppe angekommen, stürmte und schlidderte er über den glatten Bodenbelag der Station. »White House«, stand auf einem verwitterten Metallschild an der Wand. Ein milchiges Licht hing in der Stationshalle. Die verbliebenen Leuchtröhren wurden von einem Generator gespeist, der nun, nachdem Washington zur Geisterstadt geworden war, bald seinen Dienst einstellen würde. Hoffentlich nicht, während Little Rock noch im Tunnel war!
Der Schrittlärm seiner Stiefel hallte von den gekachelten Wänden wider. Am Ende der Stationshalle angekommen, sprang er ins Gleisbett hinunter und starrte in das Halbdunkel des gewölbten Gleistunnels. Atemlos warf er einen letzten Blick zurück. Mit Schrecken bemerkte er, wie sich die gewaltige Masse des Schleimmonsters auf den obersten Treppenabsatz durch die gesprengte Schottöffnung quetschte. Aus ihrer wabernden Substanz lösten sich Ausbuchtungen und stülpten sich über die seitlichen Treppengeländer. Wie ein entrollter Teppich glitt sie die Stiegen hinab.
Little Rock atmete schwer. Wollte er seinen Vorsprung halten, musste er noch schneller werden.
Little Rock drehte sich um und hastete in den Tunnel. Der Geruch von moderiger Feuchtigkeit und fauligem Holz schlug ihm entgegen. Ein einziges Gleispaar zog sich in gerader Linie durch den Tunnel. Diese Bahnlinie war nie für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen und lange geheim gehalten worden. Bis vor dreieinhalb Jahren war sie sogar in Betrieb gewesen, doch nach dem weltweiten EMP, der knapp zwei Jahre andauerte (MADDRAX 149 (Oktober 2521) bis 199 (Juli 2523)) , war die Anlage dem Rost zum Opfer gefallen. Man hatte es nicht geschafft, sie wieder instand zu setzen.
In regelmäßigen Abständen hingen altersschwache Strahler von der Gewölbedecke. Ihr diffuses Licht flackerte über die bemoosten Steinwände. Rock beachtete weder den Geruch, noch die Lichtverhältnisse. Seine Füße stampften über die brüchigen Bahnschwellen. Links und rechts zogen die rostigen Schienenstränge an ihm vorbei. Er rannte und rannte.
Nach den ersten fünfhundert Metern brannte der Atem in seiner Brust. Sein Herz fühlte sich zum Bersten an. Seine Knie schmerzten und Krämpfe folterten seine Beinmuskulatur. »Weiter«, trieb er sich an, »weiter!«
Während er sich keuchend vorwärts quälte, dachte er an seine Gefährten von der Kids-Gang. Es waren keine freundlichen Gedanken. Sie hatten ihn im Stich gelassen. Klar – er war zu spät beim vereinbarten Treffpunkt erschienen. Doch sie hätten wenigstens in der Nähe des Weißen Hauses nach ihm suchen oder auf ihn warten
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