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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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denn?«
    »Weil doch alles nichts hilft – und weil es nicht das allein ist, daß ich scheiden muß, und daß wir uns trennen müssen.«
    »Was ist es denn?«
    »Daß alles vorüber ist, und daß ich der einsamste Mensch auf Erden bin.«
    »Aber Victor, Victor.«
    »Ich werde nie heiraten – es kann nicht sein – – es wird nicht möglich werden. Du siehst also, ich werde keine Heimat haben, ich gehöre niemanden an; die andern werden mich vergessen – und es ist gut. – Begreifst du es? – – Ich habe es nie gewußt, aber jetzt ist es ganz klar ganz klar. Siehst du es nicht? – – Warum schweigst du denn plötzlich, Hanna?«
    »Victor!«
    »Was, Hanna?«
    »Dachtest du schon?«
    »Ich dachte.«
    »Nun?«
    »Nun – nun – es ist ja alles vergeblich, alles umsonst.«
    »Bleibe ihr treu, Victor.«
    »Ewig, ewig; aber es ist umsonst.«
    »Warum denn?«
    »Ich sagte dir ja, daß mir mein Oheim das Gut, das einzige, was übrig blieb, nimmt. Sie ist wohlhabend, ich bin arm und kann noch lange, lange Zeit kein Weib ernähren. Da wird einer um sie werben kommen, der sie ernähren, ihr schöne Kleider und Geschenke geben kann, und den wird sie nehmen.«
    »Nein, nein, nein, Victor, das tut sie nicht – das tut sie ewig nicht. Sie wird dich ihr ganzes Leben lang lieben, wie du sie, und wird dich nicht verlassen, wie du sie nicht verläßt.«
    »O liebe, liebe Hanna!«
    »Lieber Victor!«
    »Und es wird gewiß eine Zeit kommen, wo ich wieder zurückkomme – da werde ich nie ungeduldig werden, und wir werden leben wie zwei Geschwister, die sich über alles, alles lieben, was nur immer diese Erde tragen kann, und die sich ewig, ewig treu bleiben werden.«
    »Ewig, ewig«, sagte sie, indem sie rasch seine dargebotenen Hände ergriff.
    Sie brachen in bitterliche Tränen aus.
    Victor zog sie sanft gegen sich her, und sie folgte. Sie lehnte das Haupt und das Angesicht an das Tuch seines Rockes, und gleichsam als wären jetzt bei ihr alle Schleißen recht geöffnet worden, weinte und schluchzte sie so sehr, als drückte es ihr das Herz ab, weil sie ihn verlieren müsse. Er legte den Arm um sie, wie beschützend und beschwichtigend, und drückte sie an sein Herz. Erdrückte sie immer fester, wie ein hilfloses Wesen. Sie schmiegte sich an ihn, wie an einen Bruder, der jetzt gar so, gar so gut ist. Er streichelte mit der einen Hand über ihre Locken, die sie gescheitelt auf dem Haupte trug, dann beugte er sich nieder und küßte ihre Haare – aber sie hob ihr Angesicht zu ihm empor und küßte ihn so heiß auf seine Lippen, so heiß, wie sie nie gedacht habe, daß sie etwas küssen könne.
    Dann standen sie noch eine Weile und sprachen nichts.
    Da kam der Gärtnerknabe und sagte, daß ihn die Mutter schicke und ihnen sagen lasse, daß sie zu dem Abendessen kommen möchten.
    Die seidenen Flecke, welche das Gespräch eingeleitet hatten, hielten sie noch immer in den Händen, aber sie waren verknittert, und manche waren von den Tränen Hannas naß. Sie nahmen daher dieselben zusammen, wie es sich eben fügen wollte, und gingen Hand in Hand auf dem Gartenwege gegen das Haus. Als sie die Mutter kommen sah und die rotgeweinten Augen ihrer Kinder erblickte, lächelte sie und ließ dieselben in die Stube treten.
    Hier wurden die Gerichte aufgetragen, die Mutter legte jedem von den beiden vor, wie sie glaubte, daß es ihnen am liebsten sei, sie fragte nicht, was sie gesprochen haben, und so aßen die drei, wie sie an jedem Abende in aller bisher vergangenen Zeit gegessen hatten.
    Hanna hatte sehr große raune Augen, die sich während dem Essen jeden Augenblick ohne Anlaß mit Tränen füllen wollten.
    Als man fertig war, und ehe man sich zum Schlafengehen anschickte, mußte noch Hannas Geschenk herbei gebracht werden. Es war eine Brieftasche, die mit schneeweißer Seide gefüttert war und schon das Reisegeld enthielt, das die Mutter hinein gelegt hatte.
    »Das Geld tue ich heraus«, sagte Victor, »und hebe mir die Brieftasche auf.«
    »Nein, nein,« sagte die Mutter, »das Geld lasse drinnen; siehst du, wie schön die gedruckten feinen Papiere in der weißen Seide ruhen? Nebst andern Dingen muß dich Hanna auch immer mit Brieftaschen versehen.«
    »Ich werde sehr darauf Acht haben«, antwortete Victor.
    Die Mutter schloß nun mit dem winzig kleinen Schlüsselchen das Fach der Brieftasche zu, in welchem das Geld war, und zeigte ihm, wie man das Schlüsselchen berge.
    Hierauf trieb sie zum Schlafengehen.
    »Lasse das, lasse das,«

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