Werke
das jemanden gehören mußte, Zähne umgaben es, die jemand gezogen haben mußte, und Vögel flogen nach diesen und jenen Richtungen, wie nach verschiedenen Heimaten. Victor hatte seit Tagen mit keinem Menschen gesprochen, als wenn ihn etwa ein Fuhrmann oder ein Wanderer grüßte, oder der Wirt zum Abschiede das Käppchen lüftete und sagte: »Glückliche Reise – auf Wiedersehen.«
Am achten Tage, nachdem er die Mutter und sein Tal verlassen hatte, kam er in eine Gegend, die ungleich mancher unwirtlichen, über die er bisher gewandert war, reinlich und wohltätig über sanften Hügeln dahin lag, wieder den Wechsel der Obstwälder zeigte, wie zu Hause in seinem Tale, mit wohlhabenden Häusern geziert war und kein handgroßes Stücklein aufwies, das nicht benützt war, und auf dem nicht etwas wuchs. In dem weiten Grün dahin war der Silberblick eines Stromes, und ferne war ein gar so sanftes, fast sehnsuchtreiches Blau der Berge. Diese Berge hatte er schon lange an seiner Linken hinziehend gehabt, nun aber schwangen sie sich in einem Bogen näher gegen die Straße und zeigten schon die mattfärbigen Lichter und Spalten in ihren Wänden.
»Wie Weit ist es denn noch bis Attmaning?« frug er einen Mann, der in der Gartenlaube eines Dorfwirtshauses saß und einen kühlen Trank tat.
»Wenn Ihr heute noch ein gutes Stock geht, so könnt Ihr es morgen bei rechter Zeit erreichen«, erwiderte dieser, »aber da müßt Ihr den Steig nehmen und Euch schon ob der Afel gegen das Gebirge schlagen.«
»Ich will eigentlich in die Hul.«
»In die Hul? – Da werdet Ihr schlechte Aufnahme finden. Aber wenn Ihr noch über die Grisel steigen wollt, rechts am See, da kommt Ihr zu einem lustigen Hammerschmiede, den ich Euch empfehlen kann, wo es schon ein anderes Geschicke hat.«
»Ich muß aber in die Hul.«
»Nun da habt Ihr von Attmaning noch drei schwache Stunden hinein.«
Victor hatte sich während des Gespräches zu dem Manne nieder gesetzt und sich und den Hund gelabt. Nachdem er mit seinem Nachbar noch einiges hin und her geredet hatte, machte er sich wieder auf, und ging an diesem Tage nach dem Rate seines neuen Gönners noch ein gutes Stück, bis er zu der Afel kam, die ein blaues, klar fließendes Wasser war. Am andern Tage, als kaum die erste Dämmerung leuchtete, sah man ihn schon auf dem von seinem Ratgeber angezeigten und von ihm näher erfragten Fußwege von der Straße ab gegen das Gebirge wandeln. Die riesigen, hohen Lasten schritten immer näher gegen ihn und zeigten im Laufe des Vormittages mannigfaltige, freundliche, schönfärbige Zeichnungen. Rauschende Wässer begegneten ihm, Kohlbauern fuhren; manchmal ging schon ein Mann mit spitzem Hute und Gemsbarte – und ehe es zwölf Uhr war, saß Victor bereits unter dem Überdache des Gasthauses zu Attmaning, wo er wieder zu der Straße gekommen war, und sah gegen die Gebirgsöffnung hinein, wo alles in blauen Lichtern flimmerte und ein schmaler Wasserstreifen wie ein Sensenblitz leuchtete.
Attmaning ist der letzte Ort des Hügellandes, wo es an das Hochgebirge stößt. Seine hellgrünen Bäume, die nahen Gebirge, sein spitzer Kirchturm und die sonnige Lage machen es zu dem lieblichsten Orte, den es nur immer auf unserer Erde geben kann.
Victor blieb bis gegen vier Uhr an seinem Gassentischchen – welcher Gebrauch ihn sehr freute – sitzen und ergötzte sich an dem Anblicke dieser hohen Berge, an ihrer schönen blauen Farbe und an den duftigen, wechselnden Lichtern darinnen. Dergleichen hatte er nie in seinem Leben gesehen. Was ist der größte, mächtigste Berg seiner Heimat dagegen? Als es vier Uhr schlug und die blauen Schatten allgemach längs ganzer Wände nieder sanken und ihm die früher geschätzten Fernen derselben wunderlich verrückten, fragte er endlich, wohinaus die Hul liege.
»Da oben am See«, sagte der Wirt, indem er auf die Öffnung zeigte, auf welche Victor am Nachmittage so oft hingesehen hatte.
»Wollt Ihr denn heute noch in die Hul?« fragte er nach einer Weile.
»Ja,« sagte Victor, »und ich will die jetzige kühle Abendzeit dazu benützen.«
»Da müßt Ihr nicht säumen,« erwiderte der Wirt, »und wenn Ihr niemanden andern habt, so will ich Euch meinen Buben durch das Holz geben, daß er Euch dann weiter weise.«
Victor meinte zwar keines Führers zu bedürfen; denn die Bergmündung stand ja so freundlich und nahe drüben; aber er ließ es dennoch geschehen und richtete indessen seine hingelegten Reisesachen in Ordnung.
Seltsam
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