Werke
Farben, sternartige oder vielverschlungene Dinge sprachen mich mehr an als andere. Es kam aber diese Eigenschaft damals weniger zum Bewußtsein. Als Jüngling begehrte ich die Gestalten, wie sie als Körper aus der Bildhauerei und Baukunst hervor gehen, als Flächen, Linien und Farben aus der Malerei, als Folge der Gefühle in der Musik, der menschlich sittlichen und der irdisch merkwürdigen Zustände in der Dichtkunst. Ich gab mich diesen Gestalten mit Wärme hin, und verlangte Gebilde, die ihnen ähnlich sind, im Leben. Felsen, Berge, Wolken, Bäume, die ihnen glichen, liebte ich, die entgegengesetzten verachtete ich. Menschen, menschliche Handlungen und Verhältnisse, die ihnen entsprachen, zogen mich an, die andern stießen mich ab. Es war, ich erkannte es spät, im Grunde die Wesenheit eines Künstlers, die sich in mir offenbarte und ihre Erfüllung heischte. Ob ich einguter oder ein mittelmäßiger Künstler geworden wäre, weiß ich nicht. Ein großer aber wahrscheinlich nicht, weil dann nach allem Vermuten doch die Begabung durchgebrochen wäre und ihren Gegenstand ergriffen hätte. Vielleicht irre ich mich auch darin, und es war mehr bloß die Anlage des Kunstverständnisses, was sich offenbarte, als die der Kunstgestaltung. Wie das aber auch ist: in jedem Falle waren die Kräfte, die sich in mir regten, dem Wirken eines Staatsdieners eher hinderlich als förderlich. Sie verlangten Gestalten und bewegten sich um Gestalten. So wie aber der Staat selber die Ordnung der gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen ist, also nicht eine Gestalt, sondern eine Fassung: so beziehen sich die Ergebnisse der Arbeiten der Staatsmänner meist auf Beziehungen und Verhältnisse der Staatsglieder oder der Staaten, sie liefern daher Fassungen, nicht Gestalten. So wie ich in der Kindheit oft den abgezogenen Begriffen eine Gestalt leihen mußte, um sie halten zu können, so habe ich oft in gereiften Jahren im Staatsdienste, wenn es sich um Staatsbeziehungen, um Forderungen anderer Staaten an uns oder unseres Staates an andere handelte, mir die Staaten als einen Körper und eine Gestalt gedacht, und ihre Beziehungen dann an ihre Gestalten angeknüpft. Auch habe ich nie vermocht, die bloßen eigenen Beziehungen oder den Nutzen unseres Staates allein als das höchste Gesetz und dieRichtschnur meiner Handlungen zu betrachten. Die Ehrfurcht vor den Dingen, wie sie an sich sind, war bei mir so groß, daß ich bei Verwicklungen, streitigen Ansprüchen und bei der Notwendigkeit, manche Sachen zu ordnen, nicht auf unsern Nutzen sah, sondern auf das, was die Dinge nur für sich forderten, und was ihrer Wesenheit gemäß war, damit sie das wieder werden, was sie waren, und das, was ihnen genommen wurde, erhalten, ohne welchem sie nicht sein können, was sie sind. Diese meine Eigenschaft hat mir manchen Kummer bereitet, sie hat mir hohen Tadel zugezogen; aber sie hat mir auch Achtung und Anerkennung eingebracht. Wenn meine Meinung angenommen und ins Werk gesetzt worden war, so hatte die neue Ordnung der Dinge, weil sie auf das Wesentliche ihrer Natur gegründet war, Bestand, sie brachte in so ferne, weil wir vor erneuerten Unordnungen, also vor wiederholter Kraftanstrengung geschützt waren, unserem Staate einen größeren Nutzen, als wenn wir früher den einseitigen angestrebt hätten, und ich erhielt Ehrenzeichen, Lob und Beförderung. Wenn ich in jenen Tagen der schweren Arbeit eine Ruhezeit hatte, und auf einer kleinen Reise die erhabene Gestalt eines Berges sah, oder eine Hügelreihe sich türmender Wolken, oder die blauen Augen eines freundlichen Landmädchens, oder den schlanken Körper eines Jünglings auf einem schönen Pferde – oder wenn ich auch nur inmeinem Zimmer vor meinen Gemälden stand, deren ich damals schon manche sammelte, oder vor einer kleinen Bildsäule: so verbreitete sich eine Ruhe und ein Wohlbehagen über mein Inneres, als wäre es in seine Ordnung gerückt worden. Wenn ein künstlerisches Gestaltungsvermögen in mir war, so war es das eines Baumeisters oder eines Bildhauers oder auch noch das eines Malers, gewiß aber nicht das eines Dichters oder gar eines Tonsetzers. Die ersteren Gegenstände zogen mich immer mehr an, die letzteren standen mir ferner. Wenn es aber mehr eine Kunstliebe war, was sich in mir äußerte, nicht eine Schöpfungskraft, so war es immerhin auch ein Vermögen der Gestalten, aber nur eines, die Gestalten aufzunehmen. Wenn diese Art von Eigentümlichkeit den Besitzer zunächst
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