Werke
ehrliche Haft unterhandelt haben wird.«
»Und ein andrer war dabei,« fuhr Clarissa fort, »der sagte, daß auf dem hochverehrten Haupte kein einzig Härchen sollte gelüftet werden.«
»Und es wurde auch kein einziges gelüftet, wenn Ronald zugegen war...«
»Oder?«
»Es ist auch auf seinem Haupte kein einziges mehr lebendig.«
Zwei angstvolle Gesichter sahen in maßloser Bestürzung auf ihn.
»Macht mich nicht selbst zum Toren,« rief er unwillig aus, »und jagt mir nicht kindische Angst ein – ich sage euch ja, es ist nichts geschehen, weils zu unvernünftig wäre – – darum gebt eure Sorge und euer Herz in Gottes Hand, und harret nach eures Vaters Willen auf die Entscheidung. Kommt, nehmt weg das Rohr, und lasset uns den Heimweg suchen.«
Aber sie nahmen das Rohr nicht weg. Clarissa warf sich neuerdings vor das Glas und sah lange hinein – aber dieselbe eine Botschaft war immer darinnen, doppelt ängstend durch dieselbe stumme Einförmigkeit und Klarheit. Auch Johanna sah hindurch, um ihn nur gewöhnen zu können, den drohenden, unheimlichen Anblick; denn sobald sie das Auge wegwendete und den schönen blauen Waldduft sah, wie sonst, und den lieblich blauen Würfel, wie sonst, und den lachenden blauen Himmel gar so prangend, so war es ihr, als könne es ja ganz und gar nicht möglich sein – und wenn sie wieder in das Glas sah, so wars, als sei selbst das heitre Firmament düster und schreckhaft und das Walddunkel ein riesig hinausgehendes schwarzes Bahrtuch.
Endlich – Clarissa faßte sich zuerst, und den Gedanken verwerfend, den die erste Fieberhaftigkeit eingegeben, nämlich also gleich aufzubrechen und, koste es, was es wolle, das Vaterhaus zu suchen, schlug sie vor, ohne Säumen in das Haus zu gehen, und sogleich einen der Knechte auf Kundschaft auszusenden und, bis er zurückkehre oder ein anderer Bote eintreffe, bei vorsichtigster Bewachung der Zugänge im Hause zu verharren. Sogleich nahm sie auch das Rohr ab und schob es ineinander, sich selbst und Johannen jeden ferneren Blick strenge versagend, um nicht länger den untätigen Schmerz und die vielleicht unnötige Angst zu nähren.
Johanna, mit einem Schmerzblick, ließ es geschehen; aber es loderte in ihr auch Bewunderung Clarissens auf, die wieder ihre schöne, starke Schwester geworden, der sie sich sonst so gerne und so liebend unterworfen hatte.
Gregor billigte alles, nur nicht das Wegsenden eines Knechtes. »Euer Vater«, sagte er, »weiß, daß ihr dies Rohr habt und von dem Stande der Dinge unterrichtet sein müsset: er wird daher keine Minute säumen, euch das Nähere kund zu tun. – Der Knecht könnte in Feindeshand geraten, und in der Angst euren Aufenthalt offenbaren.«
Die Mädchen sahen ein und gaben nach.
Noch einen traurigen Blick taten sie über Weite und Breite ihrer herbstlichen Wildnis, und dann verließen sie den Gipfel ihres vielgeliebten Felsens mit Gefühlen, so ganz anders, als sie sonst immer herabgestiegen waren mit Ahnungsgefühlen, die jede heimlich angstvoll wälzte, und der andern verbarg und sie an ihr bekämpfte.
Am See standen die zwei ruhigen, dunklen Gestalten der Knechte, die auf sie warteten; man bestieg den Floß und fuhr über. Gregor ließ das Fahrzeug anbinden, und als man durch das Pfahltor eingegangen war, wurde es eingeklinkt und mit den Riegeln verschlossen. Nachts löseten sich die Knechte im Wachen ab.
Morgen erschien und verging, aber kein Bote war gekommen.
Ebenso übermorgen.
Und so verging Tag um Tag, bis ihrer eilf vorüber waren, ohne daß Botschaft gekommen. Gregor gab nach, und geleitete sie noch einmal auf den Felsen. Mit derselben starren Einfachheit stand die Ruine am Waldrande, wie des ersten Tages, aber nicht ein Hauch einer andern Nachricht war von ihr herübergekommen. Die Angst mit breiten schwarzen Flügeln senkte sich auf Tal und Wald. Endlich sanken die ersten weißen, zarten Schneeflocken in den dunklen See – und man hatte nun doch einen Knecht auf Kundschaft ausgesendet –
Aber auch er ist nicht wieder gekommen.
7. Waldruine
Auf grünem Weidegrunde stand ein gewaltiger viereckiger Turm, von zerfallendem Außenwerke umgeben. Er hatte kein Dach, und seine Ringmauern hatten keine Tore, gerade, wie er noch heutzutage steht – aber er trug noch nicht die verwitterte graue Farbe seiner bloßgelegten Steinmauern, wie heute; sondern war noch bekleidet mit Anwurf und Tünche, nur war deren Reinheit be schmutzt mit häßlichen Brandflecken, aus den Fenstern
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