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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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aber nicht vermählen, so erstarren sie, und seht, in einer Felsenritze geduckt, oft in Eis und Schnee gefroren, überdauert dieses zerbrechliche Wesen den harten Winter des Waldes, und erlebt dann seinen versprochenen Frühling. Habt Ihr noch nie schon beim ersten Sonnenblicke, wenn noch kaum Halm und Gras hervor ist, einen Falter fliegen gesehen mit ausgebleichten, zerfetzten Flügeln, wie ein vorjährig verwittert Blatt? – Dies ist so ein Überwinterer.«
    Aber Johanna antwortete nicht; die Rede des Alten fiel ihr wie ein Stein auf das Herz; es wurde ihr fast so weh, daß sie nichts redete, und der armen Schwester nachsah, die vorausging und ihre Gedanken längst schon von den Faltern abgewendet hatte.
    »Die in unsrem Garten zu Hause sind aber auch viel lustiger und schöner,« sagte sie endlich zu Gregor, »sonst hätte Clarissa schon mehr auf sie und auf unsere Rede geachtet.«
    Aber ein Tränentropfen kam ihr in die Augen. Gregor schwieg und schüttelte den Kopf.
    Schon früher einmal, da sie es selbst nicht wußte, hatte er ihr schweres Herz bemerkt. Zwei Sperlinge waren die Veranlassung gewesen. Als nämlich Johanna einmal nach dem Mittagessen auf den Söller trat, um den Hühnern die Brosamen hinabzuwerfen, so bemerkte sie unter ihnen zwei dieser menschenliebenden Vögel, mit hastigem Hunger von den Körnern pickend, die für die Hühner dalagen. Sie erschrak beinahe freudig, denn sie meinte, sie können nicht anders als vom Vaterhause gekommen sein, und eine solche Wehmut kam über sie, daß ihr fast ein Weinen ankam!!
    »Gregor, verscheucht sie nicht«, rief sie hinab, »daß sie ihr Mittagsbrot verzehren können, ehe sie ihre weite Reise wieder antreten.«
    »Sie reisen nicht,« antwortete er, »denn sie sind schon drei Tage hier. Dieser Vogel sucht den Menschen, und findet ihn selbst in der Wildnis, um in seinem Hause zu wohnen. Wenn wir über Winter da sind, diese bleiben gewiß auch da.«
    Johanna schaute zärtlich hinunter und ließ Brosamen und Tränen fallen, – sie wußte nicht, warum ihr Herz bedrängt sei. – – Du ahnungsvolle Unschuld! – der glänzendweiße Seraph deiner Schwesterliebe fühlt sich bedrückt durch den, der seine dunklen Schwingen im Herzen der Schwester reget.
    Und dennoch ging sie hinein und zog Clarissen heraus, um ihr die Sperlinge zu zeigen.
    Gregor führte ›seine Kinder‹ wie vor und ehe durch die Wälder und zeigte ihnen das allgemache Winterrüsten, das langbärtige Moos der Birken- und Tannenäste, die fliegenden Waldsamen, unter die dürre Hülle der Gräser und Blätter schlüpfend, das Abfallen der letzten Himbeeren und das Verkümmern der noch nicht gezeitigten; er zeigte ihnen an den Laubzweigen schon jetzt die Vorbilder der künftigen Frühlingsknospen in ihren braunen Panzern. Die Fichtengeschlechter standen unverändert in düstergrüne Mäntel eingehüllt, auf Eis und Schnee harrend, und der Eichbaum hielt sein raschelnd Laub fest in den tausend zähen Fingern. Ja, Gregor malte ihnen schon die künftige Winterschönheit vor: an heiteren Tagen das Glänzen und Flimmern, das Leuchten, Spiegeln hier und dort und oben und unten, ein durchbrochner Eispalast der ganze Wald, zart wie Spitzengewebe ihres Kleides, ja tausendmal zarter hängend von Zweig zu Zweig, dann das Krachen, wenn eine Schnee- oder Eislast bricht und die feste, kalte Luft erschüttert – oder wenn sie nachts bei Lichte in der warmen Stube sitzen, kein Lüftchen um das Haus, oben aber Tauwind geht, daß die Wälder seufzen, und sie das ferne Wehen und Sausen bis in ihr Bette hören, oder das Knarren und Girren der reibenden Stämme, und vom Felsen das Brechen und Fallen der Lawine – oder im Frühlinge, wenn die neugebornen Bäche nächtlich all überall von den Höhen rauschen und ahnungsreich ans Ohr schlagen – – – es ist keine Jahreszeit, in der er nicht die Pracht des Waldes gesehen.
    Er dichtete und erzählte auf den Wanderungen, wie früher, und schwärmte sich in Phantasieen und Gefühle der Einöde hinein, wie früher, aber der dichterischen Rede fehlte jetzt das dichterische Ohr; denn er in seiner Einfalt wußte nicht, daß Clarissa viel öfter an Ronald dachte als er selber, und Johanna an Clarissen. Dafür aber, wenn sich jetzt ein Ohr für ihn auftat, so fielen seine Worte in empfänglichere, schwülere Herzen und lockten aus ihnen Blumen empor, größer, dunkler, duftender als je zuvor.
    Vom Vater war seit langem gar keine Botschaft gekommen, Gregors Enkel blieb aus,

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