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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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er wirklich das sein sollte, was er heißt: wodurch ist er gleichwohl ein so interessantes Stück geworden, wofür ihn unser Publikum hält? Wenn er nicht Mitleid und Furcht erregt: was ist denn seine Wirkung? Wirkung muß er doch haben, und hat sie. Und wenn er Wirkung hat: ist es nicht gleichviel, ob er diese, oder ob er jene hat? Wenn er die Zuschauer beschäftiget, wenn er sie vergnügt: was will man denn mehr? Müssen sie denn, notwendig nur nach den Regeln des Aristoteles, beschäftiget und vergnügt werden?
    Das klingt so unrecht nicht; aber es ist darauf zu antworten. Überhaupt: wenn Richard schon keine Tragödie wäre, so bleibt er doch ein dramatisches Gedicht; wenn ihm schon die Schönheiten der Tragödie mangelten, so könnte er doch sonst Schönheiten haben. Poesie des Ausdrucks; Bilder; Tiraden; kühne Gesinnungen; einen feurigen hinreißenden Dialog; glückliche Veranlassungen für den Akteur, den ganzen Umfang seiner Stimme mit den mannichfaltigsten Abwechselungen zu durchlaufen, seine ganze Stärke in der Pantomime zu zeigen u.s.w.
    Von diesen Schönheiten hat Richard viele, und hat auch noch andere, die den eigentlichen Schönheiten der Tragödie näher kommen.
    Richard ist ein abscheulicher Bösewicht; aber auch die Beschäftigung unsers Abscheues ist nicht ganz ohne Vergnügen; besonders in der Nachahmung.
    Auch das Ungeheuere in den Verbrechen partizipieret von den Empfindungen, welche Größe und Kühnheit in uns erwecken.
    Alles, was Richard tut, ist Greuel; aber alle diese Greuel geschehen in Absicht auf etwas; Richard hat einen Plan; und überall, wo wir einen Plan wahrnehmen, wird unsere Neugierde rege; wir warten gern mit ab, ob er ausgeführt wird werden, und wie er es wird werden; wir lieben das Zweckmäßige so sehr, daß es uns, auch unabhängig von der Moralität des Zwecks, Vergnügen gewähret.
    Wir wollten, daß Richard seinen Zweck erreichte: und wir wollten, daß er ihn auch nicht erreichte. Das Erreichen erspart uns das Mißvergnügen, über ganz vergebens angewandte Mittel: wenn er ihn nicht erreicht, so ist so viel Blut völlig umsonst vergossen worden; da es einmal vergossen ist, möchten wir es nicht gern, auch noch bloß vor langer Weile, vergossen finden. Hinwiederum wäre dieses Erreichen das Frohlocken der Bosheit; nichts hören wir ungerner; die Absicht interessierte uns, als zu erreichende Absicht; wenn sie aber nun erreicht wäre, würden wir nichts als das Abscheuliche derselben erblicken, würden wir wünschen, daß sie nicht erreicht wäre; diesen Wunsch sehen wir voraus, und uns schaudert vor der Erreichung.
    Die guten Personen des Stücks lieben wir; eine so zärtliche feurige Mutter, Geschwister, die so ganz eines in dem andern leben; diese Gegenstände gefallen immer, erregen immer die süßesten sympathetischen Empfindungen, wir mögen sie finden, wo wir wollen. Sie ganz ohne Schuld leiden zu sehen, ist zwar herbe, ist zwar für unsere Ruhe, zu unserer Besserung, kein sehr ersprießliches Gefühl: aber es ist doch immer Gefühl.
    Und so nach beschäftiget uns das Stück durchaus, und vergnügt durch diese Beschäftigung unserer Seelenkräfte. Das ist wahr; nur die Folge ist nicht wahr, die man daraus zu ziehen meinet: nämlich, daß wir also damit zufrieden sein können.
    Ein Dichter kann viel getan, und doch noch nichts damit vertan haben. Nicht genug, daß sein Werk Wirkungen auf uns hat: es muß auch die haben, die ihm, vermöge der Gattung, zukommen; es muß diese vornehmlich haben, und alle andere können den Mangel derselben auf keine Weise ersetzen; besonders wenn die Gattung von der Wichtigkeit und Schwierigkeit, und Kostbarkeit ist, daß alle Mühe und aller Aufwand vergebens wäre, wenn sie weiter nichts als solche Wirkungen hervorbringen wollte, die durch eine leichtere und weniger Anstalten erfordernde Gattung eben sowohl zu erhalten wären. Ein Bund Stroh aufzuheben, muß man keine Maschinen in Bewegung setzen; was ich mit dem Fuße umstoßen kann, muß ich nicht mit einer Mine sprengen wollen; ich muß keinen Scheiterhaufen anzünden, um eine Mücke zu verbrennen.
    { ‡ }
Achtzigstes Stück
    Den 5ten Februar, 1768
    Wozu die sauere Arbeit der dramatischen Form? wozu ein Theater erbauet, Männer und Weiber verkleidet, Gedächtnisse gemartert, die ganze Stadt auf einen Platz geladen? wenn ich mit meinem Werke, und mit der Aufführung desselben, weiter nichts hervorbringen will, als einige von den Regungen, die eine gute Erzählung, von jedem zu

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