Werke
Kettengerassel der Gefangenen durch die grauenvolle Stille der Nacht. Oft war es mir, als höre ich Euphemiens – Viktorins Todesröcheln. »Bin ich denn schuld an euerm Verderben? Wart ihr es nicht selbst, Verruchte, die ihr euch hingabt meinem rächenden Arm?« – So schrie ich laut auf, aber dann ging ein langer, tief ausatmender Todesseufzer durch die Gewölbe, und in wilder Verzweiflung heulte ich: »Du bist es, Hermogen! ... Nah ist die Rache! ... Keine Rettung mehr!« – In der neunten Nacht mochte es sein, als ich, halb ohnmächtig von Grauen und Entsetzen, auf dem kalten Boden des Gefängnisses ausgestreckt lag. Da vernahm ich deutlich unter mir ein leises, abgemessenes Klopfen. Ich horchte auf, das Klopfen dauerte fort, und dazwischen lachte es seltsamlich aus dem Boden hervor! – Ich sprang auf und warf mich auf das Strohlager, aber immerfort klopfte es und lachte und stöhnte dazwischen. – Endlich rief es leise, leise, aber wie mit häßlicher, heiserer, stammelnder Stimme hintereinander fort: »Me-dar-dus! Me-dar-dus!« – Ein Eisstrom goß sich mir durch die Glieder! Ich ermannte mich und rief »Wer da! Wer ist da?« – Lauter lachte es nun und stöhnte und ächzte und klopfte und stammelte heiser: »Me-dar-dus... Me-dar-dus!« – Ich raffte mich auf vom Lager. »Wer du auch bist, der du hier tollen Spuk treibst, stell’ dich her sichtbarlich vor meine Augen, daß ich dich schauen mag, oder höre auf mit deinem wüsten Lachen und Klopfen!« – So rief ich in die dicke Finsternis hinein, aber recht unter meinen Füßen klopfte es stärker und stammelte: »Hihihi... hihihi... Brü-der-lein... Brü-der-lein... Me-dar-dus... ich bin da... bin da... ma-mach auf... auf... wir wollen in den Wa-Wald gehn... Wald gehn!« – Jetzt tönte die Stimme dunkel in meinem Innern wie bekannt; ich hatte sie schon sonst gehört, doch nicht, wie mich es dünkte, so abgebrochen und so stammelnd. Ja, mit Entsetzen glaubte ich meinen eignen Sprachton zu vernehmen. Unwillkürlich, als wollte ich versuchen, ob es dem so sei, stammelte ich nach: »Me-dar-dus... Me-dar-dus!« Da lachte es wieder, aber höhnisch und grimmig und rief: »Brü-der-lein... Brü-der-lein, hast... du, du mi-mich erkannt... erkannt? ... ma-mach auf wir wo-wollen in den Wa-Wald... in den Wald!« – »Armer Wahnsinniger,« so sprach es dumpf und schauerlich aus mir heraus, »armer Wahnsinniger, nicht aufmachen kann ich dir, nicht heraus mit dir in den schönen Wald, in die herrliche freie Frühlingsluft, die draußen wehen mag; eingesperrt im dumpfen düstern Kerker bin ich wie du!« – Da ächzte es im trostlosen Jammer, und immer leiser und unvernehmlicher wurde das Klopfen, bis es endlich ganz schwieg; der Morgen brach durch das Fenster, die Schlösser rasselten, und der Kerkermeister, den ich die ganze Zeit über nicht gesehen, trat herein. »Man hat«, fing er an, »in dieser Nacht allerlei Lärm in Ihrem Zimmer gehört und lautes Sprechen. Wie ist es damit?« – »Ich habe die Gewohnheit,« erwiderte ich so ruhig, als es mir nur möglich war, »laut und stark im Schlafe zu reden, und führte ich auch im Wachen Selbstgespräche, so glaube ich, daß mir dies wohl erlaubt sein wird.« – »Wahrscheinlich«, fuhr der Kerkermeister fort, »ist Ihnen bekannt worden, daß jeder Versuch zu entfliehen, jedes Einverständnis mit den Mitgefangenen hart geahndet wird.« – Ich beteuerte, nichts dergleichen hätte ich vor. – Ein paar Stunden nachher führte man mich hinauf zum Kriminalgericht. Nicht der Richter, der mich zuerst vernommen, sondern ein anderer, ziemlich junger Mann, dem ich auf den ersten Blick anmerkte, daß er dem vorigen an Gewandtheit und eindringenden Sinn weit überlegen sein müsse, trat freundlich auf mich zu und lud mich zum Sitzen ein. Noch steht er mir gar lebendig vor Augen. Er war für seine Jahre ziemlich untersetzt, sein Kopf beinahe haarlos, er trug eine Brille. In seinem ganzen Wesen lag so viel Güte und Gemütlichkeit, daß ich wohl fühlte, gerade deshalb müsse jeder nicht ganz verstockte Verbrecher ihm schwer widerstehen können. Seine Fragen warf er leicht, beinahe im Konversationston hin, aber sie waren überdacht und so präzis gestellt, daß nur bestimmte Antworten erfolgen konnten. »Ich muß Sie zuvörderst fragen,« so fing er an, »ob alles das, was Sie über Ihren Lebenslauf angegeben haben, wirklich gegründet ist, oder ob bei reiflichem Nachdenken Ihnen nicht dieser oder jener Umstand einfiel, den
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