Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
den alten Gatten, den düsteren Park in der fernen Heimat und die Bank, auf der sie sich mit dem letzten, leidenschaftlichen Abschiedskuß aus seinen vor Verzweiflung erstarrten Armen gerissen hatte ... Geben Sie es doch zu, Nastenka, daß man erzittern, zusammenfahren und wie ein Schuljunge, der soeben im Nachbarsgarten einen Apfel gestohlen hat und ihn hastig in der Tasche verbirgt, erröten muß, wenn nun plötzlich irgendein baumlanger, lustiger Bursche als ungebetener Gast an der Schwelle erscheint und, als ob nichts geschehen wäre, herausplatzt: ›Weißt du, mein Lieber? Ich komme eben aus Pawlowsk!‹ Mein Gott! Der alte Graf ist tot, ein unaussprechliches Glück bricht an, – und dem Kerl fällt es ein, aus Pawlowsk zu kommen!«
Ich hielt nach all den pathetischen Phrasen ebenso pathetisch inne. Ich weiß noch, daß ich große Lust hatte, in ein schallendes Gelächter auszubrechen, denn ich fühlte schon, wie sich in mir ein übermütiger Teufel regte, wie mir ein Zucken durch Hals und Kinn ging und meine Augen feucht wurden ...
Ich erwartete, daß Nastenka, die mir, ihre klugen Augen weit geöffnet, zuhörte, in ein kindliches, unbändig lustiges Lachen ausbrechen würde, und ich machte mir schon Vorwürfe, daß ich zu weit gegangen sei, daß ich ihr unnötigerweise etwas erzählt hätte, was ich als längst gefälltes Urteil über mich selbst schon lange auf dem Herzen herumgetragen und daher so fließend zu erzählen verstand; allerdings hatte ich nicht erwartet, daß sie mich verstehen würde. Doch zu meinem Erstaunen schwieg sie zunächst eine Weile, drückte mir dann die Hand und fragte mit einer eigentümlich schüchternen Teilnahme:
»Haben Sie denn wirklich Ihr ganzes Leben so verbracht?«
»Ja, mein ganzes Leben, Nastenka,« antwortete ich. »Mein ganzes Leben, und ich glaube, daß es bis an mein Ende so bleiben wird.«
»Nein, das soll nicht sein!« sagte sie erregt. »Das darf nicht geschehen! So werde vielleicht auch ich mein ganzes Leben neben der Großmutter verbringen. Hören Sie, wissen Sie denn nicht, daß es gar nicht gut ist, so zu leben?«
»Ich weiß es, Nastenka, ich weiß es!« rief ich, meinem Gefühle freien Lauf lassend, »Und gerade jetzt weiß ich besser als je, daß ich meine schönsten Jahre ganz nutzlos verschwendet habe! Jetzt weiß ich es, und diese Erkenntnis tut mir weh, weil Gott selbst mir Sie als einen guten Engel gesandt hat, um es mir zu sagen und zu beweisen. Jetzt, wo ich neben Ihnen sitze und mit Ihnen spreche, ist es mir schwer, an die Zukunft zu denken, denn in der Zukunft erwartet mich wieder Einsamkeit und dieses dumpfe, überflüssige zwecklose Leben; und was werde ich überhaupt noch träumen können, nachdem ich schon im Wachen und in Wirklichkeit an Ihrer Seite so glücklich gewesen bin?! O, seien Sie gesegnet, Sie liebes, gutes Mädchen, weil Sie mich nicht gleich am Anfang abgewiesen haben, weil ich dank Ihnen sagen darf, daß ich wenigstens zwei Abende in meinem Leben wirklich gelebt habe!«
»Ach nein, nein!« rief Nastenka aus, und Tränen erglänzten in ihren Augen. »Nein, so darf es nicht weiter gehen! Wir dürfen nicht so auseinandergehen! Was sind zwei Abende?!«
»Ach, Nastenka, Nastenka! Wissen Sie denn, daß Sie mich für lange Zeit mit mir selbst versöhnt haben? Daß ich über mich niemals mehr so schlecht denken werde wie bisher? Daß ich mich vielleicht nicht mehr darüber grämen werde, aus meinem Leben ein Verbrechen und eine Sünde gemacht zu haben, – denn ein solches Leben ist Verbrechen und Sünde! Glauben Sie nur nicht, daß ich irgend etwas übertrieben habe, um Gottes willen, glauben Sie nur das nicht, Nastenka! Weil es Augenblicke gibt, wo mich solcher Gram, so unbeschreiblicher Gram verzehrt ... Weil es mir in solchen Augenblicken vorkommt, daß ich nicht mehr fähig sei, ein wirkliches Leben zu leben; weil ich schon oft glaubte, jeden Takt, jeden Sinn für das wahre, wirkliche Leben verloren zu haben; weil ich mich oft verdammt habe; weil nach meinen phantastischen Nächten Augenblicke der Ernüchterung kommen, die wahrhaft schrecklich sind! Und dabei muß ich hören, wie rings um mich die Menschen toben und sich im Strudel des Lebens drehen; muß hören und sehen, wie Menschen leben, wie sie ein wirkliches, greifbares Leben leben, daß ihnen das Leben offen steht, daß es ihnen nicht wie ein Traumgesicht entschwebt, daß es sich ewig aus sich selbst erneut und verjüngt, daß keine Stunde dieses Lebens einer andern
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