Werke
mir doch einen Kameraden!‹
Ich schwieg beklommen, denn auch mit meiner Schwester hatte der Verkehr ja aufgehört.
›Ich weiß wohl‹, fuhr er fort; ›der Alte ist ja eigentümlich; das ist kein Haus für junge Damen.‹ Er schwieg plötzlich und schneuzte sich heftig mit seinem großen rotseidenen Taschentuche.
›Archimedes‹, sagte ich, ›die Mädchen könnten ja doch hier zusammenkommen! Mutter und Schwester haben deine Phia beide gern.‹ Ich sagte das aufs Geratewohl; ich konnte nicht anders.
Er blieb stehen. ›Ist das dein Ernst? Darf ich es ihr sagen?‹ rief er lebhaft.
›Gewiß darfst du das.‹
Seine Augen leuchteten ordentlich. ›Trefflich, trefflich!‹ rief er und drückte mir die Hand. ›Freilich, wenn der Alte sie nur fahrenläßt! Abends muß sie ihm vorlesen, bis ihr die Brust weh tut; sie ist nicht stark, die kleine Phia. Und tages ... nach ihrer Konfirmation ist gleich die eine Dienstmagd abgeschafft; sie hat so viel zu tun, das arme Ding. Aber gewiß, ich werd’s ihr sagen; nun wird die Reise viel fröhlicher vonstatten gehen!‹
Aber Archimedes hatte noch ein Bedenken oder wenigstens noch einen Widerhaken im Gemüte; und ich war nun einmal sein Vertrauter.
›Weißt du auch‹, begann er wieder, ›wem ich diese außerordentliche, ja ganz unglaubliche Erfüllung meines Wunsches zu verdanken habe?‹
›Ich denke, deinem Vater‹, erwiderte ich, ›du sagtest es ja schon.‹
Archimedes vollführte einen scharfen Hieb mit seinem Stöckchen durch die Luft. ›Freilich, Bester; aber – der Günstling, der Haus- und Kassenverwalter Käfer hat es hinter meinem Rücken bei dem Alten durchgesetzt; die Sache ist ganz sicher, Phia hat es mir versichert; sie hält diesen Käfer für den besten aller Menschen! Siehst du, das wurmt mich; ich mag dieser Kreatur nichts zu verdanken haben.‹
›Nun‹, sagte ich – ich weiß nicht, wie es mir eben auf die Zunge kam –, ›vielleicht hast du ihm auch nichts zu danken; vielleicht mag’s ihm selber daran liegen, dich aus dem Hause loszuwerden.‹
Archimedes starrte mich fast erschrocken an. ›Du sagst es!‹ rief er; ›aber ich habe auch schon daran gedacht! Nur wüßte ich eigentlich nicht, warum; ich habe mich nie darum gekümmert, wie aus des Alten Schatulle das Silber in seine Tasche fließt; glaubt er indessen durch meine Abwesenheit diesen Strom noch zu verstärken – basta! so möge er seinen Lohn dahin haben!‹
Damit war unsere Unterhaltung zu Ende. ›Auf morgen denn!‹ rief Archimedes in seiner alten Fröhlichkeit; die Ausprägung jenes letzten Gedankens schien seine Bedenklichkeit ganz verscheucht zu haben. Und auch mir schien damit alles erklärt zu sein; denn Herr Käfer mußte augenscheinlich nicht wenig Geld verbrauchen. Er kleidete sich gut, man konnte sagen, mit Geschmack; er ließ sich auch sonst nichts abgehen. Trotz seines noch immer etwas weibischen Gesichtes machte er keine üble Figur, so daß alte Damen ihn einen feinen jungen Menschen nannten; auch ich selber wäre vielleicht weniger dagegen gewesen, wenn ich ihn mir nicht zehn Jahre früher durch die Planke so genau betrachtet hätte. Er war unablässig bemüht, sich in die bessere Gesellschaft einzudrängen, und hatte es sogar fertiggebracht, mit einer Anzahl von drei weißen Kugeln von der Harmoniegesellschaft zurückgewiesen zu werden. Und somit machte auch ich mir keine weiteren Gedanken.
Am Tage darauf, am schönsten Junimorgen, fuhren wir Studenten ab. Archimedes war anfänglich etwas still. ›Ein harter Abschied‹, flüsterte er mir zu und drückte krampfhaft meine Hand. Aber die Abschiedsstimmung hielt nicht stand; am Waldesrande, etwa eine Meile hinter unserer Vaterstadt, sprangen wir alle vom Wagen und schmückten Pferde und Geschirr mit frischem Buchengrün, uns selbst nicht zu vergessen. Der junge Kutscher meines Vaters, ›Thoms Knappe‹ von uns genannt, hatte die Fahrt schon mehrmals mitgemacht; er kannte alle unsere Lieder und sang mit seiner klingenden Tenorstimme frisch dazwischen, als es jetzt wieder in das freie Land hinausging. Ich entsinne mich kaum einer Reise, wo mir die Sonne so ins Herz gelacht hätte; es war aber auch nicht allein die Sonne: zur Seite des rollenden Wagens flogen die hellsten Genien des Lebens, Hoffnung und Jugend, mit ihrer weithin leuchtenden Aureole.
Auf der Hälfte des Weges, in dem großen baumreichen Dorfe, wo man im Vorüberfahren in des Hardesvogts Garten den kleinen Springbrunnen mit der goldenen
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