Werwolf-Hölle
Schreibtisch stand.
Der rechte Arm zuckte nach vorn. Zwei Finger umfaßten den Schlüssel, und wenig später war die Tür offen.
Hogan trug eine kurze Hose, die bis zu den Oberschenkeln reichte. Er zog sie nicht aus, als er nach einem T-Shirt griff, es über den Kopf streifte, dann die Jeans aus dem Schrank holte, sie ebenfalls überzog und wenig später nach dem Pullover griff.
Er war dick gestrickt worden und besaß ein Zopfmuster. Hogan schlüpfte auch in seine Schuhe. Es waren Slipper mit dicken, geriffelten Gummisohlen.
Auch die Lederjacke zog er vom Bügel und zog sie an. Jede Bewegung wirkte wie einstudiert. Er kam auch in der Dunkelheit zurecht. An der Innenseite der Schranktür hing ein Spiegel. Beim Anziehen der Jacke drehte er sich so, daß sein Blick in den Spiegel fiel. Sehr schwach zeichnete sich dort sein Gesicht ab. Er nahm es zur Kenntnis, doch er reagierte nicht. Kein Streichen durch das Haar, kein Zurechtzupfen der Revers, er war voll und ganz mit sich zufrieden.
Tony Hogan befand sich in einem ungewöhnlichen Zustand. Er war nicht wach, er schlief auch nicht. Er war das, was man einen Schlafwandler nennt, und dazu tat der Mond sein übriges. Sein Schein leitete ihn. Er war für Tony wie ein Magnet. Deshalb blieb er auch nicht mehr länger vor seiner offenen Schranktür stehen, sondern drehte sich und schaute auf das mattgelbe Fenster-Viereck.
Langsam setzte er sich in Bewegung. Roboterhaft. Den Blick hatte er starr nach vorn gerichtet und schaffte es trotzdem, nicht über einen Gegenstand zu stolpern, der mitten im Weg lag. Es war ein würfelförmiges Sitzkissen aus Leder, auf dem noch seine Kleidung lag, die er am Abend ausgezogen hatte.
Mit einem weiten Schritt stieg er darüber hinweg und hatte die Hälfte der Strecke bis zum Fenster schon hinter sich gelassen.
Die restlichen Schritte schaffte er auch noch in sehr kurzer Zeit. Er blieb dicht vor der Scheibe stehen. Zum erstenmal seit dem Verlassen des Schrankes zeigte sich in seinem Gesicht eine Regung. Wieder verzog er die Lippen, und dieses Lächeln sah lockend und auch freudig aus.
Der Glanz des Mondes traf seine Augen und spiegelte sich darin wider. Sie waren plötzlich heller geworden. Normalerweise blickten die Pupillen dunkelbraun, passend zu seinen kurzgeschnittenen Haaren. Sekundenlang verharrte er in dieser Stellung. Den Blick durch das Fenster in die Nacht gerichtet und auf den vollen Kreis des Mondes konzentriert. Er wirkte wie aus dem Dunkel des Himmels geschält, als hätte dort jemand ein Loch hinterlassen.
Bei ihm traf die alte Regel der Schlafwandler zu. Der Mond war für ihn wie ein Magnet, und er füllte den einsamen Mann auch mit Sehnsucht aus.
Hogan holte tief Atem. Er würde etwas Bestimmtes tun, was er gedanklich jedoch nicht nachvollziehen konnte, da er von anderen Kräften übernommen worden war.
Ob er bei der nächsten Bewegung aus eigenem Antrieb handelte oder nicht, wußte er nicht zu sagen. Jedenfalls hob er seinen rechten Arm an, und wenig später umschlang seine Hand den Fenstergriff, den er nach links drehte. So war das Fenster offen.
Mit einem Ruck zog er es völlig auf. Kühle Winterluft schlug gegen sein Gesicht.
Es war für ihn wie ein Eisschauer, aber er erzeugte keine Gänsehaut, denn der Mann wurde von anderen Gefühlen durchweht.
Er beugte sich vor.
Das Fenster gehörte zu einer Dachgaube. Über dem vierten Stock des Hauses angebracht, schaute es zur Rückseite hin, wo ein leeres Gelände lag, so daß der unverbaute Blick bis weit in die dunkle Winternacht hineinreichte.
Über ihm stand ein Himmel, von dem viele Menschen träumen. Wolkenlos, sternenklar. Ein großer dunkler Staudamm mit zahlreichen Löchern, durch die Licht funkelte, aber nicht gegen den Schein des Mondes ankam.
Er beherrschte alles.
In dieser klaren Nacht schien er zum Greifen nahe zu sein und direkt über dem Fluß zu schweben, dessen welliges Wasser einen harten Glanz erhalten hatte.
Tony Hogan wartete etwa eine halbe Minute in seiner starren Haltung. Mitternacht war vorbei, und er wußte instinktiv, welche Zeit nun angebrochen war.
Er saugte den Schein des Mondes auf. Seinen Kopf hielt er schräg, um den grauen Winkel erreichen zu können. Wieder lag das Lächeln auf seinen Lippen, als er beide Hände gegen die Fensterbank stemmte. Es war der Beginn seines Verschwindens, denn mit einer kurzen, aber kräftigen Bewegung stemmte er sich in die Höhe.
Den Kopf mußte er einziehen, da das Fenster nicht hoch genug war.
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