When the Music's Over
aufgekommen war, hatten sie fast nur noch alte Elvis-Nummern im Programm. Es war Ironie, doch der King sorgte dafür, dass sie nicht verhungerten.
Als sie noch ihren Deal mit der Plattenfirma hatten, kümmerte sich Jeffrey, ihr Manager, um alles. Er ließ nur Leute in seine Garderobe, die »wichtig« für ihn waren. Andererseits, diese Frau sah »wichtig« aus. Doch sie war ein Vampir, er wusste, wenn er ihr nachgab, würde sie ihn aussaugen. Sie verströmte diese untrügliche Mischung aus Einfluss, Hysterie und Geilheit. Und jetzt suchte sie jemanden, der es ihr besorgte. Einen »echten verlorenen Helden«. Scheiße.
Vor fünf Jahren, als er und die Bladerunner ihren ersten Hit hatten, war ihre Welt voller Partys, die von Vampiren wie dieser Frau für sie gegeben wurden. Sonst war er immer nach höflichen dreißig Minuten verschwunden, um in seinem Hotelzimmer ein Buch zu lesen, Gitarre zu spielen oder an neuen Songs zu arbeiten. In jenen Tagen war es so leicht, einen guten Song zu schreiben. Er brauchte nichts weiter zu tun, nur den Geschmack der Einsamkeit, die tief drinnen in ihm wohnte, hervorholen und in Worte und Akkorde umzuformen. Jetzt war da nur diese Leere. Vielleicht hatte auch Pierce die Leere gefühlt, und sie war schuld daran, dass er sich mit Frauen wie Tonia Sakamoto eingelassen hatte und versuchte, die Leere mit Sex und Drogen zu füllen. Blue wusste genau, dass es so nicht funktionieren würde – nicht für ihn. Hatte er das nicht schon alles hinter sich? Vielleicht holte einen die Vergangenheit immer dann ein, wenn man ganz tief unten ist. Pierce hatte diesen Satz immer gesagt – und Pierce war auch Vergangenheit.
»Shell, unser Lead-Gitarrist, hat ihn sich ausgedacht«, sagte er. Es war ein höflicher Versuch, die Konversation auf einer belanglosen Ebene zu halten, bis er sich entschieden hatte, wie er sie einordnen sollte.
»– und er fand, dass Blue gut zu dir passt wegen deiner blauen Augen und weil du immer so traurige Lieder singst.«
Großer Gott, sie war Leserin von Fan-Magazinen. Fast hätte er laut herausgelacht. Er wandte sich ab, kniete sich auf den Boden und legte die Gibson in das abgestoßene Flightcase mit den vielen verblassten Aufklebern von diversen, längst Pleite gegangenen Fluglinien. Erinnerungen an zahllose Orte, Musikclubs, namenlose Hotels und gesichtslose Groupies mit gierigen Augen und Silicon-Titten. Heute war Fliegen ein Luxus, den sich die Runners längst nicht mehr leisten konnten. Und nachdem irgendeine selbst ernannte Bürgerwehr vor einigen Tagen ihren Tourbus konfisziert hatte, saßen sie hier fest.
Der fettarschige Besitzer des Clubs hatte Blue zu verstehen gegeben, dass er die besten Kontakte zur Bürgerwehr hätte, und sollte Blue ihm gefällig sein, würde sich wegen des Tourbusses sicher was machen lassen. Blue hatte ihm ganz freundlich vorgeschlagen, es doch bei Toto, dem Bassisten der Runners, zu versuchen. Toto hatte den Charme eines Dead-Heads auf Speed. Blue erinnerte sich gerne an das Gesicht des Clubbesitzers. Als er sicher war, dass das Grinsen aus seinem Gesicht verschwunden war, stand er auf.
Sie plapperte immer noch. Fan-Geschwätz, so bedeutsam wie das Hintergrundrauschen seines alten Fender-Amps und fast genauso leicht zu ignorieren.
»… finde auch, dass Blue gut zu dir passt.«
Auffordernd hielt sie ihm ihr Glas hin. Offensichtlich wollte sie mit ihm anstoßen. Ihm fiel auf, dass ihre Stimme leicht undeutlich klang. Sie hatte wohl schon eine Flasche Champagner zum Anwärmen getrunken und sich ein paar Straßen reingezogen.
Er schüttelte den Kopf. »Danke, ich trinke nicht.«
»Ha!«
Sie schien höchst befriedigt über diese Auskunft, vermutlich hatte sie auch das irgendwo gelesen. Mit albernen kleinen Schlucken trank sie erst ihr Glas leer, um dann das andere zügig wegzukippen. Das Ergebnis war ein Schluckauf.
Wo blieben nur die Jungs? Eigentlich teilten sie sich die Garderobe. Seine Blicke irrten zur Tür.
Sie merkte, dass er nach einem Fluchtweg suchte, und kam zur Sache. »Ich habe wirklich schlechte Manieren. Komme einfach hier rein –«
Blue zuckte die Achseln. Er war müde und verschwitzt. In dem miesen Club gab es nur eine Dusche hinter der Küche, fürs Personal, doch er konnte sich in diesem Augenblick keinen Ort auf der Welt vorstellen, wo er lieber wäre. Selbst wenn ihm der schwule Clubbesitzer wahrscheinlich durch ein Loch in der Wand zusah und sich dabei einen runterholte. Wo war der Unterschied zu dieser
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