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Wie August Petermann den Nordpol erfand

Wie August Petermann den Nordpol erfand

Titel: Wie August Petermann den Nordpol erfand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Felsch
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und dem von ihr vertretenen »Mammon«, erlittene Demütigungen heimzuzahlen: »Wenn Leute dieser Partei hörten, dass ein Preussischer Flottenoffizier in Kiel eine Deutsche Nordfahrt ausrüstete, welche Englischen Entdeckungen hätte zuvorkommen können - liegt da nicht der Gedanke nahe, dass der Bruch der Englischen Maschine von etwas anderem als dem blossen Zufall herrührte?« Nun ja. Mit einem gehörigen Quantum Paranoia vielleicht schon.

    Bild 12
    Für den schwäbischen Darwinisten Gustav Jäger war der Nordpol der Nabel der Welt.

19. FISCHERSCHALUPPENFANTASIEN
    Doch zurück ins Deutschland der Reaktionszeit. Auch Gustav Jäger war ein Projektemacher, wie er im Buche steht. Der Direktor des Wiener Tiergartens, einer der ersten öffentlich bekennenden Darwinisten in Deutschland, ist als Erfinder der »Normalkleidung« in die Geschichte eingegangen. Seine streng militärisch geschnittene Wollkluft, eine Kreuzung aus hygienisch-physiologischen Forschungen und Lebensreformbewegung, ging in den 1870er Jahren in Stuttgart in Produktion. Sie trug Jäger ein Vermögen ein. Robert Bosch soll ebenso auf Normalkleidung geschworen haben wie George Bernard Shaw. Und Fridtjof Nansen trug die wollenen Leibchen auf seinen epischen Märschen durchs Packeis. Vermutlich hat sich der Unternehmer über diesen Triumph besonders gefreut. Denn der Nordpol interessierte ihn, unter evolutionstheoretischen Gesichtspunkten, schon viel länger. Nicht umsonst finden wir Jäger auf der Gästeliste von Petermanns großer Geografenversammlung im Frankfurter Hochstift, wo er, vielleicht schon im Prototyp des anthroposophischen Wollwamses, von seinen jüngsten tiergeografischen Untersuchungen berichtete. Für einen Darwinisten wie ihn gab es keinerlei Zweifel: Die Verteilung der Tiere auf der Erde entsprach der Figurenkonstellation eines »halb abgelaufenen Schachspiels«. Sie erlaubte es dem erfahrenen Spieler, die ganze Partie, sprich: die Entstehung der Arten zu rekonstruieren. Und Jäger hatte den
Nordpol als »Schlüssel« in diesem Spiel identifiziert. Aus der ringförmigen Verteilung der Säugetiere entlang der Breitengrade - zumal sie quer über Atlantik und Pazifik hinweg ging, als wären die Weltmeere ein Katzensprung - schloss er: Der Pol oder die Ufer eines geschlossenen runden Polarbeckens mussten der genealogische Ausgangspunkt dieser konzentrischen Kreise sein. Europas und Amerikas Tiere stellten »die versprengten Nachkommen einer einst nordpolaren Fauna« dar, die ein planetarischer Kälteschub ringförmig in Richtung Äquator getrieben hatte. Ein halbes Jahrhundert vor Alfred Wegeners Kontinentaldrift war das zumindest eine diskutable Hypothese. Auf Jägers sternförmiger Weltkarte, zu Demonstrationszwecken eigens in Polarprojektion entworfen, gewann sie mächtig an Plausibilität. Es kann nicht verwundern, dass Petermann Feuer und Flamme war: Jägers Karte machte den Nordpol zum Nabel der Welt. Der Kartograf adaptierte sie als Logo für Perthes’ Geographische Verlagsanstalt. Ref. 158
    Der arktische Darwinismus des schwäbischen Wollunternehmers ist ein Zeitphänomen. Schon immer hatte der Nordpol einen Kristallisationskern für geografische Mythen gebildet, aber spätestens, seitdem Petermann das eisfreie Polarmeer predigte, erlebte er eine schillernde Hochkonjunktur. Für Jäger stellte er den Ursprungsort höheren Lebens dar. Für den kanadisch-isländischen Polarforscher Vilhjalmur Stefansson bildete er zwei Generationen später das Endziel der modernen Zivilisation. The Northward Course of Empire heißt Stefanssons neuerdings wieder sehr aktuelles Buch von 1922, in dem er von einem großen »Zug nach Norden« träumte, analog zum amerikanischen Let’s go West! . Dazwischen lassen sich, gerade im deutschsprachigen Raum, alle erdenklichen
kühnen Varianten finden. Es ist kein Zufall, dass Karl May, der demiurgische Enkel der deutschen Erdkunde, seine Bibliothek in der Villa Shatterhand auf den Namen »Nordpol« taufte. Zwischen staubigen Folianten und Kartenrollen lag hier der Nullpunkt seiner literarischen Einbildungskraft. Wie man weiß, war der Vater Winnetous ein großer Büchernarr, der sich enzyklopädisch durch die einschlägige Reiseliteratur las. In seinem akribisch geführten Anschaffungskatalog ist alles vorhanden: von Humboldts Kosmos über das Indienwerk der Gebrüder Schlagintweit bis zu den Bänden von Petermanns Geographischen Mitteilungen . Ref. 159
    Das Gros der Nordpolenthusiasten musste Petermann

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