Wie August Petermann den Nordpol erfand
sich nur dem Golfstrom anvertrauen. Der Golfstrom, ein Effekt der rotierenden Erdblase, laufe spiralförmig
auf den Nordpol zu, durchstoße das »zackige Felsengebirge«, das den Erdschlund wie einen Mondkrater umringe, und stürze ins Innere des hohlen Planeten hinein. Entscheidend für die Schiffbarkeit dieser Route war ihre strömungstheoretisch deduzierbare Eisfreiheit - für den Anwalt Grund genug zu der Annahme, dass eine Schiffsfahrt zum Nordpol »keiner großen Vorbereitungen« bedürfe. Man müsse sich einfach treiben lassen. Das habe noch niemand versucht. Insgesamt sei der Coup von einem deutschen Hafen aus in weniger als einem Monat zu schaffen. Besondere Vorkehrungen gegen Treib- und Packeis: überflüssig.
Das Erstaunlichste an Gethers Buch ist beinah weniger die abenteuerliche Theorie selbst, die sich im Jahrhundert der Nordpolenthusiasten in guter Nachbarschaft befand. Das Erstaunlichste ist eine rätselhafte Auslassung: John Cleves Symmes wird mit keinem Wort erwähnt. Dabei scheint es kaum möglich, dass der Lüneburger Erdkundler seinen großen Vordenker nicht einmal vom Hörensagen kannte. Symmes, ein ehemaliger Unteroffizier aus St. Louis, der auch im zivilen Leben darauf bestand, als »Captain« tituliert zu werden, hatte 1818 seine geografische Berufung entdeckt. Als Vortragsreisender, zunächst im Mittleren Westen, aber später auch an der gebildeten Ostküste, füllte er während der 1820er Jahre die Auditorien. Mit hellen, in die Ferne gerichteten Augen und einem großen hölzernen Globus, den er zu Demonstrationszwecken benutzte, setzte er seinem begierigen Publikum die Theorie von der »hohlen Erde« auseinander: von einer Erde, die aus sieben ineinander geschachtelten Sphären bestand. Von Öffnungen an den Polen, durch die diese Sphären miteinander verbunden waren. Von spärlichem Sonnenlicht, das
gerade noch ausreichte, um organisches Leben zu unterhalten. Von einem eisfreien Polarmeer schließlich, in dessen Mitte der große Malstrom kreiste … Durch halb verschüttete Röhren kommunizierte Symmes mit jener alten hermetisch-neuplatonischen Naturphilosophie, die den mundus subterraneus seit dem 17. Jahrhundert für eine ausgemachte Sache hielt.
Schon zu Lebzeiten musste der Captain viel Spott einstecken, nicht zuletzt, weil er den Gestus des exakten Wissenschaftlers mit der Unbeholfenheit des Provinzlers verband. Aber seine Theorie fand auch Anhänger, und bedeutende dazu. Symmes’ Vorlage zur Entsendung einer amerikanischen Polarexpedition, die die Theorie verifizieren sollte, erhielt 25 Ja-Stimmen - im Senat der Vereinigten Staaten. James McBride, ein Adept, der die oral theory des Meisters in Buchlänge zu Papier brachte, unterstellte John Barrow und den arktisversessenen Engländern, insgeheim selbst auf der Suche nach dem Weg in die hohle Erde zu sein: »Es ist unwahrscheinlich, dass sie vier sukzessive Expeditionen ausgerüstet und losgeschickt hätten, nur um Eisberge und Eskimos zu sehen.« Als die USA gegen Ende der 1830er Jahre schließlich ihre eigene Exploring Expedition to the far South unter Segel setzten, war mit Jeremiah Reynolds zunächst ein überzeugter Symmesianer als Kommandant vorgesehen. Der Journalist Edgar Allan Poe, dessen Faszination für Symmes’ hohle Erde man in den Irrfahrten seines Arthur Gordon Pym nachlesen kann - auf warmem, milchigem Wasser gleitet der Held zuletzt auf den abgründigen Südpol zu lieh Reynolds die provinziellen Spalten seines Southern Literary Messenger , doch es nützte nichts: Am Ende fiel das Los auf den stocknüchternen Marinekapitän Charles Wilkes. Ref. 162
Obwohl es in den 1860er Jahren um Symmes relativ still geworden war, kamen auch in Gotha die Nachrichten versprengter Symmesianer an. Ein gewisser C. W. Ford aus Baltimore, der in der Zeitung von den deutschen Arktisplänen gelesen hatte, warnte eindringlich vor den Gefahren des Malstroms am Nordpol, dem vermutlich schon die Erebus und die Terror zum Opfer gefallen seien: »Soweit ich weiß, hat es nie eine Nachricht gegeben, die das Schicksal von Franklin aufgeklärt hat. Einige Dinge wurden entdeckt. Aber nichts, was uns über das Schicksal der Schiffe oder derer beruhigen könnte, die sich an Bord befunden haben mögen. Vielleicht sind sie ins Polarmeer eingedrungen und in die Achsenströmung geraten und haben so ihr Schicksal besiegelt.« Ref. 163
Und dann war da, wie gesagt, der hartnäckige Adolph Gether. Wie Symmes’ Theorie in die Hände des Oldenburger
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