Wie die Hells Angels Deutschlands Unterwelt eroberten (German Edition)
bekennen.
Außerdem eröffnen die Selbstauflösungen die Möglichkeit, jederzeit ein neues Charter mit einem im Bedarfsfall »frischen« Vorstand zu gründen, dessen polizeiliches Führungszeugnis nicht genug Ansatzpunkte für eine Verbotsverfügung liefern wird. Wie es sich bei den Verbotsverfügungen von Flensburg und Pforzheim herausgestellt hatte, reicht den Verwaltungsgerichten heute schon ein Kapitalverbrechen eines Führungsmitgliedes aus, um ein Verbot gerichtlich zu sanktionieren. Wenn hingegen ein vorbelastetes Führungsmitglied gegen ein unbescholtenes Member ausgetauscht wird, besteht selbst bei einer ansonsten starken personellen Übereinstimmung mit einem Vorgänger-Charter eine deutlich geringere Gefahr, als Ersatzorganisation des alten Charters in Mitverantwortung gezogen und sofort wieder verboten werden zu können. Die polizeilichen Ermittlungen und das Sammeln von Erkenntnissen für eine Verbotsverfügung müssen also wieder bei null beginnen.
Diese Taktik der Selbstauflösungen wird sicherlich noch andauern, bis die Hells Angels die juristischen Fähigkeiten erlangt haben zu agieren, ohne unter die Gefahr einer Verbotsverfügung zu fallen, oder bis die Innenminister ihren Verfolgungsdruck lockern.
Während die Republik noch gebannt auf den Berliner Mordanschlag blickte, gelang es dem Hells Angels MC auf diese Weise, einige seiner wichtigsten Charter in Sicherheit zu bringen. Das mächtige Bremer Hells-Angels-Charter West Side, eines der größten in Europa, gab mit Wirkung vom 7. Juni 2012 seine Auflösung bekannt. Dass zahlreiche Bremer Rocker ihre lukrativen Tätigkeiten im Rotlichtmilieu gleichzeitig einfach aufgeben werden, darf stark bezweifelt werden.
Am 12. Juni folgte der Hells Angels Motorcycle Club Potsdam mit all seinen Supporter-Clubs. Zuvor hatten sich Spekulationen gemehrt, durch die Aufnahme der Männer aus Kadir P.s verbotenem Berlin City Charter könne die Justiz den Potsdamer Ableger als Ersatzorganisation auslegen. Die Rocker gingen in der aktuellen Situation lieber auf Nummer sicher. Weiterhin beschlossen die Hells-Angels-Charter Midland, Singen und Schwerin ihre Selbstauflösung oder, wie es in Rockerkreisen heißt, sind nun »closed«.
Am 28. Juni 2012 kam dann der Paukenschlag in der rot-weißen Welt: Frank Hanebuths Hannoveraner Charter gab seine Selbstauflösung bekannt – das weltweit mitgliederstärkste und eines der bedeutendsten Charter überhaupt. Am Clubhaus an der Badenstedter Straße schraubten die Biker des Langen den Deathhead und das riesige »Angels Place« ab, nahmen ihre Homepage vom Netz – »not available« – und hängten erst einmal ihre Kutten in den Schrank. Während die Polizei diese Vorgänge noch einzuordnen versuchte, hatten die Hells Angels Hannover Fakten geschaffen. Das prestigeträchtigste deutsche Charter war vor den Innenministern und Verwaltungsgerichten nach all den aufwendigen und schlagzeilenträchtigen Ermittlungen im Kieler Mordfall in Sicherheit gebracht worden.
In den betroffenen Städten sind die Hells Angels so dominant im Milieu, dass sie sicherlich kein offizielles Charter benötigen, um die profitablen Geschäfte weiter zu betreiben. Jeder weiß, wer sie sind und welche Macht sie haben, mit Kutte oder ohne. Sollte dies in Zukunft jemand vergessen oder es darauf ankommen lassen, werden die Höllenengel ihn gewiss daran erinnern. Früher oder später wird es wieder offizielle Charter in diesen Städten geben, aber wohl erst nach einer ausgiebigen juristischen Bestandsaufnahme. Wie schnell die Angels neue Strukturen begründen können, zeigte sich Anfang August 2012, als es gleich vier Mal »Welcome to the Family« hieß und die neuen Charter in Berlin verkündet wurden: Southtown, Northtown, Westtown und Easttown.
Die Verbote sind sicherlich lästig und werden auch einige der beabsichtigten Wirkungen erzeugen, doch jemand, der es im Hells Angels MC zu Macht und Wohlstand gebracht hat und der tief in kriminelle Machenschaften verstrickt ist, wird dadurch gewiss nicht dauerhaft abgeschreckt sein.
Nach den Selbstauflösungen 2012 bauten sich Innenminister und Polizeipräsidenten mit stolzgeschwellter Brust und Siegerlächeln vor den Fernsehkameras der Nation auf und versuchten, die Taktik der OMCGs als Ergebnis ihrer guten Arbeit und des Verfolgungsdrucks ihrer Behörden umzudeuten. So etwas kann wohl nur einem Berufspolitiker einfallen.
Dass die wichtigsten Charter der Hells Angels – Berlin, Bremen und Hannover –
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