Wie die Hells Angels Deutschlands Unterwelt eroberten (German Edition)
kriminelles Monopol errichten will. Wenn das Risiko beherrschbar und der Lohn angemessen scheint, sind weitere Eskalationsszenarien nahezu sicher.
Dass Deutschland Kriegsschauplatz der weltweiten Rivalitäten bleibt, werden auch Vereinsverbote und taktische Selbstauflösungen nicht ändern.
Nachwort
Der größte Widerspruch in der Welt der Hells Angels springt einem förmlich ins Auge: Einerseits geben die selbst ernannten Gesetzlosen vor, frei und abseits aller Regeln, Gesetze und bürgerlichen Vorstellungen leben zu wollen. Andererseits scheinen sie Ordnungs- und Gehorsamsfanatiker zu sein.
Das Leben als Hells Angel ist erstaunlich streng reguliert. Konformität ersetzt die persönliche Unabhängigkeit in der Bruderschaft. Es fängt an mit der Uniform, dem Color der Angels, auf das man sich wie beim Militär ordensgleich weitere Patches aufnäht, die einem zusätzliches Renommee verleihen: durch Teilnahme an Runs, die Dauer der Vereinszugehörigkeit, sexuelle Ausschweifungen, Ausüben von Funktionen wie »President«. Besondere Patches werden verliehen für eine Tätigkeit im Rotlichtgewerbe (Red Light Crew), Gefängnisaufenthalte (Big House Crew), besondere Brutalität gegen Polizisten (Dequiallo) bis hin zum Mord, der für den Club begangen wurde (Filthy Few).
Die Einprozenter wollen in einer abgeschotteten Welt leben und doch teilen sie der gesamten Öffentlichkeit ihre aktuelle Stellung und ihr Ansehen im Club jederzeit auf ihren Kutten mit. Sie exhibitionieren sich geradezu gegenüber der Allgemeinheit, mit der sie doch gar nichts gemein haben wollen. Stolz tragen sie die Einprozenter-Raute auf ihrer Kutte oder als Tätowierung in die Haut gestochen und signalisieren dadurch der Außenwelt, dass sie sich als Gesetzlose fühlen. Sie stellen sich selbst außerhalb aller gesellschaftlichen Ordnungsbegriffe und Regeln, um sich dann widerspruchslos dem Diktat ihres Präsidenten zu unterstellen.
Der Präsident führt sein Charter an einer strengen Befehlskette und lässt Verordnungen und Direktiven mitunter drakonisch durch die ihm unterstellten Offiziere und Mitglieder durchsetzen. Sollte gegen Anordnungen oder Regeln der OMCGs verstoßen werden, verfügen die großen internationalen Clubs über eine interne Gerichtsbarkeit, die jegliche Verstöße unerbittlich sanktioniert. Die Urteile der Vergangenheit waren gnadenlos, und auch vor Massenmord wurde nicht zurückgeschreckt, wie das Lennoxville-Massaker mit fünf Ermordeten, der achtfache Mord von Shedden und auch der vermeintliche Brudermord an dem abtrünnigen Hells Angel in Berlin bezeugen.
Die hierarchischen Organisationsstrukturen ermöglichen es dem Präsidenten in der Regel, straffrei zu bleiben, während sein stetig wachsendes Renommee und seine Autorität neue Rekruten anlocken und in die Kriminalität ziehen.
Die Vorschriften der Hells Angels sind allumfassend: Angefangen bei den Regularien für Hangarounds und die offizielle Anwärterschaft über den Status eines Prospects bis hin zur Vollmitgliedschaft, die speziellen Initiationsriten, die ausschließlich Männern vorbehaltene Mitgliedschaft bis hin zu den Vorschriften für den Umgang mit Drogen ist alles clubintern geregelt. Der alles überragende Ehrenkodex, der jegliche Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz ausschließt, bildet eine weitere Säule des umfangreichen Regelwerkes.
Jedes Mitglied fährt eine Harley-Davidson, alle unterliegen den gleichen World Rules, die, Heiligtümern gleich, behütet und geschützt werden. Das Vereinsleben runden Pflichttermine wie die Teilnahme an der wöchentlichen Versammlung (Kirchgang), Pflichtfahrten (Runs), Feierlichkeiten und die pünktliche Zahlung des geforderten Monatsbeitrags ab. Kleinere Vergehen werden mit festgelegten Geldbußen geahndet. So viel Spießbürgertum findet man auch in jedem Schützenverein.
Und doch sehen sich die Hells Angels und andere Rocker in ihrer Selbstwahrnehmung als die einzigen legitimen Erben des zu Tode zitierten Easy-Rider-Mythos und als Gesellschaft freier Männer, die nicht dem Diktat von Gesetzesbüchern, Berufsleben, Ehefrauen oder Familien unterworfen sind.
Um den Status eines Outlaws, eines Gesetzlosen, zu erlangen, opfern sie alle Merkmale eines geschützten und beständigen Lebens für ihren Freiheitsbegriff – nur um sich in der Welt der organisierten Biker dann viel starreren, rigideren Regeln zu unterwerfen. Wie passt das zusammen?
Sozialwissenschaftler sprechen angesichts des ambivalenten Lebens vom
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