Wie die Iren die Zivilisation retteten
Land
gebundenen Leibeigenen. Die germanischen Stämme strömten nach
Gal- lien und Spanien, schließlich auch auf die italienische Halbinsel, ließen sich nieder und begannen wie ihre romanisierten Nachbarn das Land zu bewirtschaften. Ihre Oberhäupter wurden eine Art Gutsbe-sitzer und boten im Tausch gegen Arbeit und Erzeugnisse ihren
Schutz. Für einen flüchtigen Steuereintreiber, wie auch für viele andere flüchtige Römer, konnte der Besitz eines germanischen Stam-mesoberhaupts weitaus verlockender sein als der seines römischen
Pendants. In der Regel hieß der Germane die Sprache des Flüchtlings, seine Verbindungen und seine zahlreichen zivilisierten Fähigkeiten rauh, aber begeistert willkommen – und er hatte das Wort curialis nie gehört. Auf diese Weise wuchsen sich die großen Landbesitze, die
während der sich immer weiter ausbreitenden inneren Unruhe zu
eigenen Herrschaftsgebieten wurden, zu den kleinen Königreichen
aus, die zur Zeit Karls des Großen existierten.
Wir dürfen uns die römischen Kaiser nicht als aktive Verfolger der armen curiales vorstellen. (Sie selbst meinten sogar, die curiales – und alle anderen römischen Bürger – vor den grausamen Wechselfällen
des Lebens außerhalb des römischen orbis zu schützen. Und was konnte schließlich ein größerer Segen sein als die Ehre der römischen Staatsbürgerschaft? Ein kaiserliches Edikt jener Zeit versucht sogar, die flüchtigen curiales zu beschämen, indem es sie an ihren edlen Rang, an den »Glanz ihrer Geburt« erinnert.) Die bürokratischen und gesellschaftlichen Institutionen Roms waren vielmehr derart kopfla-stig und fest verankert, daß eine effektive Reform gar nicht mehr möglich war. Die Klassen waren voneinander abgeschnitten. Wir
können uns beispielsweise nicht vorstellen, daß Ausonius auch nur einen Gedanken an die Leiden von Personen verschwendet hätte, die 30
ihm nicht gleichgestellt waren. Die passio eurialis , wenn sie ihm überhaupt je in den Sinn gekommen wäre, hätte ihn allenfalls zu einem weiteren schlauen Gedichtchen für seine Freunde angeregt, die immer gern etwas zum Schmunzeln hatten. In Ausonius begegnen wir der
vollständigen Auslöschung von res publica , öffentlicher Sache, von sozialem Bewußtsein. In seinem gesamten umfangreichen Werk
kommt nur eine einzige Person vor, die nicht Ausonius’ Klasse ange-hört: Bissula, die germanische Sklavin mit dem lustigen Namen, und auch sie dient nur zur Aufwertung von Ausonius’ Männlichkeit.
Das meiste Kopfzerbrechen bereitete dem Kaiser das Heer. Da die
Steuereinnahmen sanken, konnte er keine Streitmacht halten, die stark genug war, den immer massiver werdenden barbarischen Angriffen
standzuhalten. Doch seit der Zeit von Konstantin waren einige neue Kaiser aus den Reihen der Armee gekommen – oder zumindest von
ihr unterstützt worden –, so daß die Existenz der Armee eine ständige Bedrohung für jeden regierenden Herrscher darstellte. Die Armee
hatte Kaiser gemacht und auch wieder vom Thron geholt – und es gab nur wenige, die sich mehr als einige Jahre auf dem Thron gehalten hatten oder in ihrem Bett gestorben waren. Im Jahre 383 erhob sich die Armee in Britannien und überquerte unter der Führung von Maximus
den Kontinent, um gallische Städte zu besetzen. Der junge Gratian wurde in Lyon ermordet, sein Bruder aus Italien vertrieben. Ausonius’ Karriere war beendet. Als die Ordnung unter einem neuen Herr-
scher – Theodosius, 388 – wiederhergestellt war, war Ausonius zu alt für das öffentliche Leben.
Auch wenn die Pax Romana ohne die zunehmende Militarisierung des Römischen Reiches schwerlich so lange gehalten hätte – die Rö-
mer selbst waren mit ihrer Armee nie glücklich. Sie stand eher für Diktatur als für die guten alten republikanischen Werte, und sie zogen es vor, die Augen vor dem essentiellen Beitrag der Armee zu ihrem Wohlergehen zu verschließen. je weiter Moral und republikanische
Entschlossenheit verfielen, desto mehr Nichtrömer fanden sich in der Armee, halbromanisierte barbarische Söldner und Bedienstete; einge-zogen anstelle von Freien, die anderweitig beschäftigt waren. In den letzten Tagen des Reiches verkrümelten sich viele Männer, um dem
31
Armeedienst zu entkommen, obwohl dieses Verbrechen – theoretisch
– mit Folter und Tod bestraft wurde. Die Werber stießen auf den
Großgrundbesitzen auf so großen Widerstand, daß es einflußreichen Landbesitzern gestattet wurde, anstelle
Weitere Kostenlose Bücher